Hochspannungsleitungen wirken sich auf den Hormonspiegel aus – allerdings je nach Jahreszeit unterschiedlich. Das legt ein Experiment an Kälbern nahe. Wurden sie niederfrequenten Feldern ausgesetzt, produzierten sie nachts mehr von dem Schlafhormon Melatonin als Kontrolltiere. Im Sommer war der Effekt schwächer und umgekehrt, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten. Warum das so ist, bleibt jedoch unklar.
Hochspannungsleitungen erzeugen niederfrequente elektromagnetische Felder und können auch die Luft um die Leitung herum elektrisch aufladen. Ob und wie diese Felder auf die Gesundheit wirken, ist seit Jahrzehnten stark umstritten. So fanden Studien vor allem in den 1960er und 70er Jahren vermehrt Leukämiefälle bei Kindern, die in unmittelbarer Nähe solcher Stromleitungen aufwuchsen. Durch welchen Mechanismus dies jedoch verursacht werden könnte, ist nach wie vor unklar.
Einfluss auf das Schlafhormon Melatonin?
Auch auf Tiere scheinen die elektromagnetischen Felder zu wirken. 2009 deutete eine Studie an Kühen darauf hin, dass die Leitungen die Magnetfeld-Wahrnehmung der Tiere stört. Zudem beeinflussen die Leitungen offenbar die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Dieses nachts freigesetzt Hormon spielt eine wichtige Rolle für den Tag-Nacht-Rhythmus, stärkt aber auch das Immunsystem und könnte sogar vor Krebs schützen.
Bisher allerdings gab es nur ziemlich widersprüchliche Ergebnisse dazu, ob das Melatonin bei Tieren in der Nähe von Hochspannungsleitungen erhöht, erniedrigt oder aber völlig unbeeinflusst ist. Forscher der Universität Duisburg um Hynek Burda sind der Melatonin-Hypothese nun genauer nachgegangen.
Kälber im niederfrequenten Feld
Sie untersuchten, ob und wann Hochspannungsleitungen bei jungen Kälbern den Melatoninspiegel beeinflusst. „Wir haben uns deshalb für Kälber entschieden, weil Bauern bereits seit längerem darüber diskutieren, ob Hochspannungsleitungen die Gesundheit und den Ertrag ihres Milchviehs beeinflussen“, erklärt Burda.
Für den Versuch wurden 30 Tage alte Kälber in einem Versuchsstall für 35 Tage einem elektromagnetischen Feld von 50-60 Hertz und der Stärke von 0,4 Mikrotesla ausgesetzt. Eine Vergleichsgruppe gleichen Alters wurde in Ställen ohne elektrische Felder gehalten. Über Speichelproben bestimmten die Forscher den Melatoningehalt. Der Versuch wurde einmal im Sommer und einmal im Winter durchgeführt.
Weniger Melatonin – aber nur im Winter
Das Ergebnis: Die Kälbchen produzierten weniger Melatonin, wenn sie den elektromagnetischen Feldern ausgesetzt waren, wie die Forscher berichten. Interessanterweise trat dieser Effekt aber nur im Winter auf, im Sommer verkehrte er sich sogar leicht ins Gegenteil. Allerdings war der dämpfende Einfluss im Winter deutlicher als der positive Effekt im Sommer, wie die Forscher betonen.
„Dieser saisonale Effekt des Magnetfeldeinflusses ist eine neue Erkenntnis, die die bisherigen Studien in einem neuen Licht erscheinen lässt“, sagt Burda. „Er könnte erklären, weshalb es bislang so uneinheitliche Ergebnisse bei Wiederholungsexperimenten gab.“
Offensichtlich, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler, haben magnetische Wechselfelder durchaus einen Einfluss auf die Gesundheit. Dieser ist jedoch deutlich komplexer als bisher angenommen. Der nun gezeigte saisonale Einfluss könnte aber dabei helfen, die Mechanismen aufzuklären, die der Wechselwirkung zwischen Magnetfeldern, vegetativer Physiologie und Gesundheit zugrunde liegen. (Scientific Reports, 2015; doi:10.1038/srep14206)
(Universität Duisburg-Essen, 21.09.2015 – NPO)