Erschreckend wirksam: Die Ergebnislisten von Suchmaschinen können das Wahlverhalten beeinflussen, wie Experimente von US-Forschern enthüllen. Werden die Listen so manipuliert, dass sie einen Kandidaten bevorzugen, verändern sich schon nach kurzem Surfen auch die Vorlieben der Nutzer. Angesichts des knappen Ausgangs vieler Wahlen haben Suchmaschinen damit genügend Macht, um Wahlergebnisse zu beeinflussen, warnen die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Wo ein Eintrag in der Ergebnisliste einer Suchmaschine steht, kann über Erfolg oder Misserfolg von Websites und ganzen Unternehmen entscheiden. „Denn die Listung hat einen dramatischen Einfluss auf die Einstellung, Vorlieben und das Verhalten von Konsumenten“, erklären Robert Epstein und Ronald Robertson vom American Institute for Behavioral Research im kalifornischen Vista. Kein Wunder, dass unzählige Firmen sich darauf spezialisiert haben, Websites so zu optimieren, dass die Algorithmen von Google, Yahoo und Co sie möglichst gut listen.
Doch wie ist das mit Einflüssen, die über das bloße Surf- und Konsumverhalten hinausgehen? Kann die Listung in der Suchmaschine die Nutzer auch politisch beeinflussen? Möglicherweise sogar so stark, dass ein Wahlergebnis dadurch verändert wird? „Immerhin ist bereits bekannt, das andere Medien wie Zeitungen, Umfragen oder Fernsehen Wähler umstimmen können“, so die Forscher. Ob dies für die Listung in Suchmaschinen auch gilt, haben sie nun in mehreren Experimenten untersucht.
Manipulierte Pseudo-Suchmaschine
In allen Experimenten wurden die Probanden vor und nach einer Suchphase zu ihrer Meinung über Kandidaten befragt und danach, wie sie abstimmen würden. Die Online-Recherche war jedoch von den Forschern manipuliert: Die Teilnehmer erhielten entweder Suchergebnisse, die zugunsten eines der beiden Kandidaten gelistet waren oder eine neutrale Listung. Die Webseiten waren jedoch real und wurden im Vorfeld auf ihre politische Zuordnung hin eingestuft.
Im ersten Studienteil ließen die Forscher US-Probanden in einem Laborexperiment über Kandidaten der australischen Wahl zum Premierminister im Jahr 2010 recherchieren – dies sollte verhindern, dass die Teilnehmer zu viel Vorwissen oder vorgefasste Meinungen mitbrachten. Vor der Suchphase erhielten sie kurze Biografie-Texte über die beiden Kandidaten Tony Abbott und Julia Gillard und wurden dann das erste Mal befragt. Die Probanden bekamen anschließend 15 Minuten Zeit, um mit der manipulierten Suchmaschine weitere Informationen zu den Kandidaten und Parteien einzuholen, dann wurden sie erneut befragt.
Deutlich veränderte Vorlieben
Das Ergebnis: Vor der Suche unterschieden sich die Präferenzen der Probanden nicht nennenswert, wie die Forscher berichten. Doch danach zeigte sich ein deutlicher Einfluss der manipulierten Listen: Diejenigen, die auf den vorderen Plätzen Seiten zugunsten eines Kandidaten bekommen hatten, waren nun oft diesem gegenüber positiver eingestellt als die Probanden mit den neutralen Listen. Diese Wahlmanipulationskraft, wie die Forscher es nennen, lag zwischen 36 und 63 Prozent.
Ähnliches zeigte sich auch in einem zweiten, umfangreicheren Experiment. Bei diesem wiederholten die Forscher den Versuch online mit 2.100 Freiwilligen aus verschiedensten Teilen der USA. Auch hier erhöhte die Manipulation der Suchergebnisse die Bereitschaft der Teilnehmer, für einen der Kandidaten zu stimmen. Die Rate der Veränderung lag hier bei rund 37 Prozent, wie die Forscher berichten.
Wissen um Manipulation schützt nicht
„Interessanterweise machte das Wissen um eine Manipulation diesen Effekt keineswegs zunichte – es verstärkte ihn sogar noch“, so Epstein und Robertson. Denn selbst wenn die Ergebnislisten so stark verzerrt wurden, dass es auffiel, beeinflussten sie die spätere Einschätzung der Kandidaten. „Vielleicht liegt dies daran, dass Menschen den Such-Algorithmen so sehr vertrauen“, vermuten die Forscher. „Selbst wenn sie eine Verzerrung in eine Richtung wahrnehmen, sehen sie dies nur als Indiz für die Überlegenheit des bevorzugten Kandidaten.“
Auffallend auch: Bestimmte Personengruppen ließen sich leichter manipulieren als andere. „So waren selbsterklärte Republikaner anfälliger für den Suchmaschineneffekt als selbsterklärte Demokraten“, berichten die Wissenschaftler. Zudem waren Geschiedene leichter zu manipulieren als Verheiratete. Wie zu erwarten spielt auch das Vorwissen eine Rolle: Je mehr die Teilnehmer bereits vorher über die Kandidaten wussten, desto weniger veränderte sich ihre Meinung durch die zusätzliche Suche.
Echtzeit-Test bei den indischen Wahlen
Aber funktioniert dieser Effekt auch bei realen Wahlen, wenn es um Kandidaten im eigenen Land geht? Um das herauszufinden, führten die Wissenschaftler ein Experiment während der Wahlen in Indien im Jahr 2014 durch. Teilnehmer waren 2.150 Inder, die noch nicht gewählt hatten. Auch sie nutzten 15 Minuten lang die Pseudo-Suchmaschinen mit manipulierten Ergebnissen, diesmal bezüglich der drei zur Wahl stehenden Kandidaten.
Und tatsächlich: Auch hier stellten die Forscher einen Effekt der Manipulation fest. Die Vorlieben und Wahlabsichten hatten sich um durchschnittlich 9,5 Prozent verschoben – jeweils zugunsten des Kandidaten, der in den Ergebnislisten bevorzugt vorkam. „Angesichts der 800 Millionen Wahlberechtigten Inder war unsere Teilnehmergruppe aber zu klein, um den Ausgang der Wahlen zu beeinflussen“, betonen die Forscher. Aber wenn solche Manipulationen in großem Maßstab geschehen, sähe dies anders aus.
„Gefährliches Mittel der Manipulation“
„Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass eine Suchmaschine die Macht hätte, die Ergebnisse von Wahlen ungestraft zu beeinflussen“, konstatieren Epstein und Robertson. Werde dies nicht kontrolliert, könne dieser Effekt sogar zu einer signifikanten Bedrohung für das demokratische System unserer Gesellschaften werden. Allerdings: Ihre Experimente haben bisher nur den Kurzzeit-Effekt dieser Manipulation erfasst. Ob und wie sie auch nach längerer Zeit noch das Wahlverhalten beeinflussen kann, bleibt offen.
Dennoch befürchten die Forscher einen messbaren Effekt. Denn wie sie erklären, werden Wahlen oft nur durch einen kleinen Vorsprung gewonnen. Und gerade bei knappen Entscheidungen haben zuvor unentschiedene Wähler einen besonders großen Einfluss. Doch ausgerechnet sie sind am anfälligsten für den manipulativen Effekt von Suchmaschinen, wie die Experimente belegen.
Hinzu kommt, dass eine Verzerrung der Suchergebnisse für die meisten Nutzer unsichtbar bleibt: In den Experimenten fiel sie 95 Prozent der Teilnehmer nicht auf. Doch gerade das macht diese Manipulation gefährlich. Denn wenn man von vornherein weiß, dass ein Medium eine andere politische Einstellung propagiert, kann man sich dagegen wappnen. „Aber unsichtbare Einflüsse überzeugen nicht nur, sie hinterlassen auch noch das Gefühl, man habe sich eine eigene Meinung gebildet – ohne äußere Beeinflussung“, so die Wissenschaftler. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2015; doi: 10.1073/pnas.1419828112)
(PNAS, 05.08.2015 – NPO)