Medizintechnik

Kamera misst Lebenszeichen

Veränderungen der Gesichtsfarbe verraten Herz- und Atemfrequenz

Die Lebenszeichen eines Patienten lassen sich im Video anhand unterschiedlicher Regionen im Gesicht messen. © Mayank Kumar/Rice University

Lebenszeichen im Video: Allein mit einer Kamera lassen sich Herzschlag und Atemfrequenz eines Patienten anhand winziger Veränderungen der Gesichtsfarbe messen. Möglich ist dies mit einem neuen Algorithmus, den US-Forscher für derartige Überwachungssysteme entwickelt haben. Besonders Säuglinge sollen sich damit schonender überwachen lassen – die Technik funktioniert aber auch im Hausgebrauch auf dem Smartphone.

„Du siehst so blass aus – bist du krank?“ Wie gut es einem Menschen geht, ist in der Tat oft schon am Gesicht ablesbar: Nicht nur eine kränkliche Hautfarbe, auch die Pulsfrequenz oder beschleunigtes Atmen lassen sich erkennen. Maschinen tun sich allerdings mit dieser Art der Diagnose bislang schwer. Um den Zustand eines Patienten im Krankenhaus zu überwachen, müssen darum noch zahlreiche Messgeräte direkt an dessen Körper angeschlossen sein – eine automatisierte Überwachung der Lebenszeichen allein mit einer Kamera war bislang nicht problemlos möglich.

Zwar existieren bereits Ansätze, Patienten mit Hilfe von Kameras und Computern zu überwachen. Solche Systeme sind in der Lage, selbst kleinste Veränderungen der Hautfarbe zu erkennen – viel genauer, als es mit bloßem Auge möglich wäre. Daraus lassen sich Puls- und Atemfrequenz genau ableiten. Doch diese Systeme haben einige große Schwächen: Sie versagen bei Menschen mit dunkler Hautfarbe oder bei schwacher Beleuchtung. Außerdem verlieren sie das Gesicht des Patienten schnell aus dem Blick, wenn dieser sich bewegt oder auch nur das Gesicht verzieht.

Algorithmus verbessert die Genauigkeit

Mayank Kumar und seine Kollegen von der Rice University in Houston haben diese Probleme in der klinischen Video-Überwachung nun behoben. „Unsere wichtigste Erkenntnis war, dass das Signal für die wechselnde Hautfarbe in unterschiedlichen Regionen des Gesichts unterschiedlich stark ist“, erklärt Kumar. Die Forscher entwickelten für ihr System namens „DistancePPG“ daraufhin einen Algorithmus, der aus den Signalen der unterschiedlichen Regionen einen gewichteten Mittelwert berechnet.

Der neue Algorithmus bestimmt Herzschlag und Atemfrequenz, basierend auf kleinsten Veränderungen der Hautfarbe. © Jeff Fitlow / Rice University

Hinzu kommt ein verbesserter Algorithmus, um Augen und Nase des Patienten zu folgen. Das System ist auch in der Lage, Bewegungen der Gesichtsmuskeln auszugleichen. Grimassen oder ein Lächeln verfälschen dadurch das Ergebnis nicht mehr. „Das verbesserte deutlich die Genauigkeit der abgeleiteten Lebenszeichen“, sagt Kumar, „und es erweitert die Möglichkeiten und Einsatzgebiete von Kamera-basierter Lebenszeichen-Überwachung.“ In den Tests erfasste das System den Puls auf einen Herzschlag pro Minute genau, für Menschen mit verschiedener Hautfarbe und auch unter schwierigen Lichtverhältnissen.

Lebenszeichen auf Smartphone und Tablet

Besondere Aufmerksamkeit schenkten die Wissenschaftler der Überwachung von Neugeborenen. Auf einer Säuglingsstation erkannten sie, wie vorteilhaft die Kamerasysteme sein könnten: Die empfindliche Haut der Säuglinge macht das Anbringen von Messgeräten und Leitungen riskant, und zur Pflege müssen die Geräte oft neu angeschlossen werden. Außerdem bewegen sich Babies unkontrollierter und rollen sich oft von einer Seite auf die andere – auch dabei sind angeschlossene Leitungen hinderlich oder sogar gefährlich.

Doch nicht nur in Kliniken soll „DistancePPG“ zum Einsatz kommen. Das System kommt ohne spezielle Hardware aus und funktioniert mit jeder gewöhnlichen Digitalkamera, wie beispielsweise einer Webcam. Ärzte könnten somit schon in einem Bildtelefonat per Ferndiagnose die wichtigsten Lebenszeichen bestimmen. Mit der passenden Software auf Smartphone oder Tablet könnte bald sogar jeder für sich selbst schnell und einfach nachmessen. (Biomedical Optics Express, 2015; doi: 10.1364/BOE.6.001565)

(Rice University, 07.04.2015 – AKR)

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