Computer als echte Vorleser: Mit neuartiger Software sind die Rechenmaschinen in der Lage, mehr als nur eine Ansage vom Band von sich zu geben. Das Programm lässt den Computer verschiedene Sprecher und deren Gefühle erkennen. Er kann so mit passender Stimme und Tonlage sogar Märchen erzählen. Mit auf solchen Prinzipien basierenden Technologien sollen Mensch und Computer in Zukunft besser miteinander kommunizieren können.
Audiobücher sind extrem beliebt: Mehr und mehr Bestseller lassen sich nicht nur lesen, sondern auch, meist von prominenten Sprechern vorgetragen, anhören. Computer sind ebenfalls in der Lage, Sprache und Text zu erkennen und wiederzugeben. Allerdings sind sie dabei bislang nicht mehr als bloße Abspielgeräte, die den Inhalt des wiedergegebenen Textes nicht begreifen. Da niemand ein Märchen im ausdruckslosen Tonfall einer automatischen Bahnsteig-Durchsage hören will, sind Computer als Vorleser oder Erzähler eher ungeeignet – bis jetzt.
Eine Gruppe von Studenten der Universität Saarbrücken hat ein Programm entwickelt, dass den Computer zum Märchenerzähler macht. Das Besondere daran: Im Gegensatz zu üblichen Vorleseprogrammen versteht der Rechner den Text. „Unser Programm erkennt, ob in einer Textpassage des Märchens ein Mensch, Tier oder Fabelwesen spricht, und es erkennt die Gefühlslage und den jeweiligen Charakter“, erklärt Computerlinguistikstudent Christian Eisenreich. „Je nachdem passt der Computer bei der Sprachausgabe Betonung, Tempo und Sprechweise an.“
Wiederkehrende Muster mit ähnlichen Rollen
Grundlage für die Software war das Märchen „Der Froschkönig“. Die Sprachverarbeitung ist jedoch automatisierbar: Mit Hilfe bestimmter zusätzlicher Informationen kann der Computer auch andere Märchen erzählen. Damit der Rechner zum „Märchenversteher“ wird, haben die Studenten den Text des „Froschkönigs“ zunächst komplett auseinander genommen: Sie arbeiteten Wort für Wort mitsamt Bedeutung auf, interpretierten Sätze und Dialoge, trugen Hintergrundinformationen zusammen.
Anschließend übersetzten sie alles in eine Sprache, die der Computer versteht, so dass er Muster, Bedeutungsstruktur und Zusammenhänge erlernen kann. „Märchen eignen sich hierbei besonders gut, weil sie wiederkehrende Muster mit ähnlichen Rollen haben“, erläutert Sprachtechnologe Thierry Declerck. Dass diese Sprachverarbeitung funktioniert, zeigten die Studenten mit anderen Märchen: Mit nur wenigen Zusatzdaten trug der Computer auch „Die Bremer Stadtmusikanten“ oder „Rumpelstilzchen“ vor.
Gefühlvolle Computerstimme
Die verwendete Sprachausgabe-Software „Mary TTS“ entstammt ebenfalls den Forschungsergebnissen der Saarbrücker Sprachtechnologen. Sie verleiht dem Computer nun die Stimmen der Erzählerin, der Prinzessin oder des Froschs. Diese Stimmen tragen die Märchen gefühlvoll und automatisch mit verteilten Rollen vor – nur hin und wieder entlarven winzige metallische Kiekser und feinste Sprünge zwischen Laut- und Wortschnipseln die Computerstimme.
Solche Technologien sollen nicht nur Computern das Vortragen von Büchern ermöglichen: Die Forscher arbeiten generell daran, wie Mensch und Computer einander besser verstehen. Mit derartiger Spracherkennung könnte es auch möglich sein, die Informationsdichte sprachlicher Äußerungen zu bestimmen oder sogar Lügen im Internet zu entlarven.
Die erzeugten Stimmen für den „Froschkönig“ (in englischer Sprache) lassen sich online probehören.
(Universität des Saarlandes, 13.08.2014 – AKR)