Medizin

Rätselhafter Größenzuwachs in Krisenzeiten

Durchschnittliche Körpergröße der Männer nahm zwischen den Weltkriegen besonders schnell zu

Wir werden immer größer © SXC

Wir werden immer größer: Immerhin um elf Zentimeter sind die europäischen Männer seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewachsen. Das Erstaunliche daran: Die Europäer haben ausgerechnet in den Zeiten besonders stark zugelegt, als es uns eher schlecht ging – zwischen den beiden Weltkriegen. Das berichten britische Forscher im Fachmagazin „Oxford Economic Papers“. Der Grund: In den wirtschaftlich schweren Zeiten bekamen die Familien weniger Kinder – und diese wurden dann um so größer.

Dass die Körpergröße der Menschen zunimmt, wenn sich wirtschaftliche Verhältnisse und die medizinische Versorgung verbessern, ist nichts Neues. Denn bessere Ernährung vor allem in der Kindheit fördern das Größenwachstum und wenn Krankheiten kuriert oder verhindert werden, die das Wachstum hemmen, trägt dies ebenfalls zum Größenzuwachs bei. „Zunahmen in der Körpergröße sind ein Schlüsselindikator für Verbesserungen in der durchschnittlichen Gesundheit von Populationen“, erklärt Timothy J. Hatton von der University of Essex. „Daten deuten darauf hin, dass sich diese Verbesserung auch an der sinkenden Kindersterblichkeit ablesen lässt.“

Für ihre Studie haben die Forscher Datenreihen zur Entwicklung der Körpergröße von Männern in 15 europäischen Ländern ausgewertet. Sie umfassten die Daten von Kindern, die zwischen zwischen 1870 und 1980 geboren worden waren. Weil es zu Anfang dieser Zeitperiode noch keine systematischen Erhebungen der Körpergröße gab, griffen die Forscher dabei auf militärische Unterlagen aus Musterungsuntersuchungen zurück – aus dem Grund wurden in der Studie nur Männer erfasst.

Erstaunlicher Größenzuwachs zwischen 1914 und 1945

Die Auswertung ergab, dass sich in den gut 100 Jahren die Körpergröße der Männer um elf Zentimeter erhöht hat. Besonders auffällig dabei: In den Ländern Mittel- und Nordeuropas, darunter auch Deutschland, beschleunigte sich der Größenzuwachs zwischen 1914 und 1945 – ausgerechnet in der Zeit, in der die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise lagen. Paradoxerweise wuchsen die Männer in der Nachkriegszeit dann eher langsamer als in der härteren Kriegs- und Zwischenkriegszeit. Wie passt das ins Bild?

„Das ist erstaunlich, denn diese Periode liegt auch vor der Zeit, in der die großen Durchbrüche in der Medizin, beispielsweise Antibiotika, und staatliche Gesundheitsprogramme stattfanden“, erklärt Hatton. Ein möglicher Grund ist nach Ansicht der Forscher, dass die Menschen in der wirtschaftlich schweren Zeit eher weniger Kinder bekamen als vorher. Weil dann die mageren Ressourcen auf weniger Köpfe verteilt werden müssen, werden die Kinder trotz Notlage besser ernährt und wachsen daher mehr.

Zudem deutet die besonders in der Zwischenkriegszeit fallende Kindersterblichkeit darauf hin, dass trotz Krise die Gesundheitsversorgung in diesen Ländern zunehmend besser wurde. „Dennoch, ein substanzieller Anteil dieses beschleunigten Größenzuwachses lässt sich bisher nicht eindeutig erklären“, konstatiert Hatton. (Oxford Economic Papers, 2013; doi: 10.1093/oep/gpt030)

(Oxford University Press, 02.09.2013 – NPO)

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