Anhand des Zeitgefühls eines Menschen kann man vorhersagen, ob dieser ein guter Mathematiker ist oder nicht. Denn beide Fähigkeiten sind eng miteinander verknüpft. Das haben italienische Forscher jetzt durch ein Experiment nachgewiesen. Wenn jemand gut die Dauer von Zeitintervallen einschätzen könne, verrate dies spezifisch seine mathematische Intelligenz, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „PloS ONE“. Einen Zusammenhang des Zeitgefühls mit dem Arbeitsgedächtnis oder der allgemeinen Intelligenz, wie bisher angenommen, gebe es dagegen nicht.
Den Anstoß zum Experiment der Forscher gab eine Beobachtung aus vorhergehenden Studien: Wenn Menschen rechnen oder andere mathematische Aufgaben lösen, fällt es ihnen schwer einzuschätzen, wie viel Zeit dabei vergeht. Was diesen Störeffekt auslöst, war bisher unklar. Einige Wissenschaftler vermuteten, dass das gleichzeitige Rechnen den Arbeitsspeicher des Gehirns auslastet. Bei Menschen mit besserem Gedächtnis oder höherer Intelligenz müsste der Störeffekt daher schwächer sein. Einer anderen Hypothese nach verarbeitet das Gehirn Zeiten und Zahlen auf gleiche Weise – und kommt sich daher selbst ins Gehege.
Peter Kramer und seine Kollegen von der Universität Padua haben nun herausgefunden, dass die zweite Hypothese stimmt: Zeitgefühl und mathematische Intelligenz sind eng miteinander verknüpft. Ihrer Ansicht nach lässt sich daher die Genauigkeit bei der Zeiteinschätzung sogar als eine Art mathematischer Intelligenztest nutzen.
Tondauern schätzen als Testaufgabe
In ihrem Experiment unterzogen die Forscher zunächst 202 Versuchsteilnehmer mehreren mathematischen Tests, sowie Tests der allgemeinen Intelligenz und des Gedächtnisses. Anschließend spielten sie den Probanden mehrere Töne von 100 Millisekunden bis drei Sekunden Länge vor und baten sie, deren Dauer zu schätzen.
„Teilnehmer mit höheren Leistungen im Mathematiktest lagen in der Zeitabschätzung durchgängig besser als die Teilnehmer, die in den Matheaufgaben weniger gut abgeschnitten hatten“, berichten Kramer und seine Kollegen. Keinen Zusammenhang habe man dagegen zur Gedächtniskapazität oder der allgemeinen Intelligenz der Probanden gefunden. Auch Alter oder Geschlecht der Probanden habe keine Rolle gespielt.
Zahlenreihe als Rechenhilfe für das Gehirn
Wie die Wissenschaftler erklären, könnte das verbindende Element von Zeitgefühl und mathematischen Fähigkeiten darin liegen, dass das Gehirn für beide Aufgabenarten eine räumliche Hilfskonstruktion nutzt: Rechnen wir eine Aufgabe im Kopf, ordnet unser Gehirn – von uns unbemerkt – die Zahlen als Teile einer langen Zahlenkolonne, die von den kleinsten zu den größten Zahlen reicht.
Ähnlich sei es auch bei der Zeitschätzung: Auch für die möglichen Zeitdauern erstelle das Gehirn ein solches räumliches Schema. Diese Art der Verarbeitung von Zahlen und Zeit sei zwar noch nicht endgültig bewiesen, es habe aber bereits in einigen Studien Hinweise darauf gegeben.
Bestätige sich dies, könnte dies erklären, warum ein Mensch mit gutem Zeitgefühl gut rechnen könne, meinen die Forscher. Sein Gehirn beherrsche die für beides benötigte Art der räumlichen Vorstellung besonders gut. Auch der Störeffekt könnte auf diese Art der Verarbeitung zurückgehen: Das Gehirn müsse für beide Aufgaben gleichzeitig ein räumliches Muster erstellen und sei damit schnell überfordert. (PloS ONE, 2011; doi: 10.1371/journal.pone.0028621)
(PloS ONE / dapd, 09.12.2011 – NPO)