Das Elektron ist viel runder als nach gängiger Lehrmeinung vorhergesagt: Würde man es auf die Größe des Sonnensystems aufblasen, betrüge die Abweichung von einer vollkommenen Kugel weniger als eine Haaresbreite. Das haben jetzt britische Forscher mit einem in zehnjähriger Arbeit entwickelten Experiment festgestellt. Ihr jetzt in „Nature“ veröffentlichtes Ergebnis stellt die bisher genaueste Messung des elektrischen Dipolmoments des Elektrons und damit seiner Form dar.
Das Elektron ist eines der alltäglichsten und gleichzeitig eines der sich jeder Beobachtung und Messung besonders gut entziehenden Elementarteilchen. Seine Ladung und Masse sind seit langem wohlbekannt, ebenso seine Polarität, die ihm durch das elektrische Dipolmoment verliehen wird. Doch seine Größe, Form oder Struktur lassen sich weder fassen noch messen. Der Theorie nach müsste das Elektron nicht rund, sondern asphärisch geformt sein, weil sich nach gängiger Lehrmeinung das Dipolmoment auch auf seine räumliche Form auswirken müsste.
Zehn Jahre tüfteln an Mess-Experiment
Aber bisher galt das Messen des elektrischen Dipolmoments und damit auch der Rückschluss auf die Form des Elektrons als extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Denn nach dem Standardmodell der Teilchenphysik ist das Dipolmoment viel zu klein, um mit gegenwärtigen Instrumenten registriert werden zu können. Jony Hudson und seine Kollegen vom Centre for Cold Matter des Imperial College London haben jedoch in mehr als zehnjähriger Arbeit einen Versuch entwickelt, mit dem sich das Dipolmoment – und damit auch die „Rundheit“ des Elektrons – mit bisher unereichter Genauigkeit bestimmen ließen.
Für ihre Untersuchung nutzten die Forscher das dipolare Molekül Ytterbiumfluorid als Elektronenlieferant. Mit Hilfe eines extrem präzisen Lasers schlugen sie Pulse von Molekülen aus einer Quelle heraus. Durch Fluoreszenzdetektoren, elektrische und magnetische Felder manipulierten sie die Elektronen im Molekül dann so, dass diese jeweils einen bestimmten Anregungszustand einnahmen. Wären die Elektronen tatsächlich leicht unrund, wie es die Theorie vorsieht, müssten sie bei ihrer dadurch verursachten Bewegung ganz leicht um ihre Achse taumeln und dabei die Form des Gesamtmoleküls verändern
Weniger als eine Haaresbreite auf die Größe des Sonnensystems
Doch die Messungen ergaben keinerlei Anzeichen für ein solches Taumeln. Stattdessen deutet alles darauf hin, dass Elektronen sehr rund sind. Wenn nicht, so ist die Abweichung von einer vollkommenen Kugel kleiner als 0,000000000000000000000000001 Zentimeter. Wenn man das Elektron auf die Größe des gesamten Sonnensystems aufblasen würde, entspräche die Abweichung gerade mal der Breite eines menschlichen Haares.
„Wir sind sehr froh, dass wir damit unser Wissen über einen der Grundbausteine der Materie erweitern konnten“, erklärt Hudson. „Es war eine sehr schwierige Messung, aber dieses Wissen wird es uns erlauben, unsere Theorien der fundamentalen Physik zu verbessern. Oft sind die Menschen erstaunt, wenn sie hören, dass unsere physikalischen Theorien noch längst nicht ‚fertig‘ sind, aber in Wahrheit werden sie ständig verfeinert und verbessert indem wir immer genauere Messungen wie diese hier durchführen.“
Neues Licht auf Antimaterie-Frage
Die neue Erkenntnis ist nicht nur wichtig für die Teilchenphysik, sondern wirft auch ein neues Licht auf eine großen Fragen der Physik und Kosmologie: Warum gibt es heute so viel Materie, obwohl nach dem Urknall sowohl Materie als auch Antimaterie zu gleichen Teilen entstanden sein müssten und sich beide bei Berührung sofort gegenseitig auslöschen? Physiker gehen heute davon aus, dass winzige Unterschiede im Verhalten beider Teilchensorten möglicherweise der Materie den entscheidenden Vorteil verschafften. Wäre das Elektron nicht rund, wie jetzt festgestellt, sondern eher elliptisch, hätte dies ein Beleg dafür sein können, dass sich Materie und Antimaterie tatsächlich mehr unterscheiden als gedacht. Doch offenbar scheint zumindest in diesem Punkt nicht der Fall zu sein. (Nature, 2011; DOI: 10.1038/nature10104)
(Nature / Imperial College London, 26.05.2011 – NPO)