Viele Antibiotika bekämpfen Bakterien, indem sie deren Proteinfabriken blockieren. Wie genau dies geschieht, hat aber erst jetzt ein Forscherteam aufgeklärt. Demnach wirken die so genannten Makrolipid-Antibiotika, die im Tunnel der Ribosomen andocken, je nach Art des bakteriellen Ribosoms unterschiedlich effektiv. Bestimmte Strukturen werden vom Ribosom neutralisiert. Diese Erkenntnis könnte den Weg zur gezielten Entwicklung schlagkräftiger Wirkstoffe ebnen.
Multiresistente Bakterien stellen ein immer größeres medizinisches Problem dar. Antibiotika zeigen bei ihnen keine Wirkung mehr, was insbesondere in Krankenhäusern und Altenheimen zu „Superinfektionen“ mit kaum behandelbaren Lungenentzündungen, Blutvergiftungen und anderen Leiden führen kann. Die meisten bisher gängigen Antibiotika docken an den bakteriellen Ribosomen an, den Proteinfabriken im Inneren der Erreger. Dort verhindern sie die Herstellung neuer Proteine, die für das Überleben und die Vermehrung der Krankheitserreger notwendig sind. Wie genau dies geschieht, war bisher jedoch nicht bekannt.
Wirkung unterschiedlicher Makrolipid-Antibiotika beobachtet
Ein Forscherteam um den Biochemiker Daniel Wilson von der Ludwig- Maximilians-Universität (LMU) München hat nun die Wirkungsweise dieser so genannten Makrolipid-Antibiotika enträtselt. „Makrolipid-Antibiotika spielen bei der Bekämpfung resistenter Bakterienstämme eine wichtige Rolle“, erläutert Wilson.„Sie hemmen die Proteinsynthese, indem sie verhindern, dass die Aminosäureketten um weitere Bausteine verlängert werden.“ Die detaillierte Analyse der Wirkweise von Makrolipid-Antibiotika wurde jetzt in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Chemistry & Biology“ veröffentlicht.
Wechselwirkung mit ribosomalem „Tunnel“
In Zusammenarbeit mit Forschern der Staatlichen Universität Moskau und dem Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg untersuchten Wilson und sein Team, wie die Makrolipid-Antibiotika sich mit Bestandteilen des ribosomalen „Tunnels“ verbinden und die Herstellung neuer Proteine verhindern. Der Tunnel zieht sich im Inneren des Ribosoms von dem Peptidyltransferase-Zentrum, wo die Peptidkette gebildet wird, bis zum Boden der 50S ribosomalen Untereinheit und dient dazu, die noch ungefaltete neue Proteinkette vor Enzymangriffen zu schützen. Erst im Tunnel erhält das Protein seine endgültige, gefaltete und damit funktionelle Form.
Nicht alle docken an
Dazu synthetisierten die Moskauer Wissenschaftler verschiedene Makrolipid-Antibiotika, die jeweils unterschiedliche Aminosäuren und Peptide enthielten und beobachteten, ob und wo sie im Tunnel andockten. „Wir konnten beobachten, dass die Antibiotika die Maschinerie der Ribosomen tatsächlich hemmen können“, berichtet Wilson. „Überraschenderweise treten aber nur bestimmte Aminosäure- und Peptidketten in Wechselwirkung mit dem ribosomalen Tunnel und ermöglichen so, dass das
Antibiotikum seine Wirkung entfalten kann.“
Vom Ribosom neutralisiert
In manchen Fällen aber entfernten die neu entstehenden Aminosäureketten bestimmte Makrolipid-Antibiotika aus dem Ribosom – und verhinderten so deren therapeutischen Effekt. „Dieser Mechanismus könnte zur Entwicklung von Resistenzen beitragen“, so Wilson. „Denn wenn das Antibiotikum im Ribosom erkannt ist, löst dies möglicherweise einen Mechanismus aus, der das Bakterium gegen den Wirkstoff unempfindlich macht.“
Ansatz für neue Wirkstoffe
Diese Erkenntnisse könnten zur Entwicklung neuartiger Antibiotika beitragen, die bestimmte Bakterientypen – und möglicherweise auch multiresistente Stämme – gezielt angreifen. Sogar weitere Resistenzen könnten auf diesem Weg verhindert werden: Wird bei einer Infektion immer das jeweils effektivste Antibiotikum eingesetzt, sinken auch die Überlebenschancen von Erregern, die nicht auf den Wirkstoff ansprechen.
„Unsere Ergebnisse sind eine wichtige Ausgangsbasis für die Entwicklung neuartiger Antibiotika, die gezielt gegen multiresistente Keime eingesetzt werden können“, sagt Wilson. „Wir wollen nun weitere andere Antibiotika-Typen untersuchen und den Zusammenhang zwischen Effektivität und chemischer Zusammensetzung analysieren.“
(Ludwig-Maximilians-Universität München, 28.06.2010 – NPO)