Wie reagieren Menschenaffen auf das Sterben und den Tod von Artgenossen? Verblüffend menschenähnlich, wie jetzt gleich zwei Studien im Journal „Current Biology“ berichten. So bekam eine sterbende Schimpansin intensive Betreuung durch ihre Gruppe, ihre Tochter hielt nach dem Tod eine Nacht „Totenwache“. Eine andere Schimpansin konnte sich erst nach einiger Zeit von ihrem toten Kind trennen. Nach Ansicht der Forscher spricht dies für ein bewusstes Wahrnehmen des Todes durch die Affen.
Was unterscheidet unsere engsten Verwandten, die Menschenaffen, von uns Menschen? Die Kultur? Das Verhalten? „Es gibt mehrere Phänomene, die zu einer oder der anderen Zeit als einzigartig für den Menschen galten, zum Beispiel Vernunft, Sprache, Werkzeugnutzung, kulturelle Variation und Selbstbewusstsein“, erklärt James Anderson von der Universität von Stirling. „Doch die Wissenschaft hat starke Belege dafür geliefert, dass die Grenzen zwischen uns und anderen Tierarten längst nicht so klar definiert sind, wie es viele Leute gerne glauben möchten.“ Eines der auch immer wieder aufgeführten Unterscheidungsmerkmale zwischen Mensch und Tier ist das bewusste Wahrnehmen des Todes, erkennbar an einem besonderen Verhalten, wenn ein Artgenosse stirbt.
Bisher nur wenige Beobachtungen
Bei Menschenaffen gibt es bisher nur sehr wenige Berichte über die Reaktionen der Artgenossen gegenüber einem sterbenden und toten Gruppenmitglied. Einige Biologen beobachteten, dass Affenmütter ihre toten Kinder noch eine Weile mit sich herumtragen, andere wurden Zeugen großer Unruhe in einer Schimpansen gruppe, als ein erwachsener Artgenosse plötzlich verunglückte. Jetzt gelang es Anderson und seinen Kollegen erstmals, mit eigenen Augen und per Videodokumentation zu verfolgen, wie Schimpansen reagieren, wenn ein Gruppenmitglied, in diesem Falle ein älteres Weibchen, eines natürlichen Todes stirbt. Die Beobachtungen fanden an einer frei in einem Safaripark in Großbritannien lebenden Primatengruppe statt.
„Totenwache“ an der Leiche der Mutter
„Im Gegensatz zu den hektischen, lauten Reaktionen auf traumatische Tode von Erwachsenen, waren die Schimpansen, die beim Tod des Weibchens in unserem Fall anwesend waren, meist sehr ruhig“, so Anderson. Schon in den Tagen vor ihrem Tod verhielt sich die Gruppe ruhig und kümmerte sich stark um das Weibchen. Unmittelbar bevor sie starb, wurde sie von den anderen intensiv gegroomt und gestreichelt. Immer wieder schienen sie zudem die Lebenszeichen zu kontrollieren.
Als das Weibchen starb, verließen die Artgenossen sie, nur die erwachsene Tochter kehrte zurück und blieb eine ganze Nacht lang bei der Leiche ihrer Mutter sitzen. Als die Parkwächter am nächsten Morgen die Leiche entfernten, blieben die Schimpansen weiter ungewöhnlich ruhig und gedrückt. Noch tagelang vermieden sie es auf der Plattform zu schlafen, auf der das Weibchen gestorben war, obwohl es einer der beliebtesten Schlafplätze ist.
Parallelen zu menschlichem Verhalten
„Die Beobachtungen deuten darauf hin, dass ihr Bewusstsein des Todes vermutlich höher entwickelt ist als häufig angenommen. Möglicherweise hängt dies mit ihrer Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung zusammen, das sich in Verhalten wie Selbst-Erkennen und Empathie gegenüber anderen äußert“, so Anderson. „Im Allgemeinen stellten wir mehrere Gemeinsamkeiten fest zwischen dem Schimpansenverhalten gegenüber dem sterbenden und dann toten Weibchen und einigen Reaktionen von Menschen, wenn sie mit dem Tod eines älteren Angehörigen oder Bekannten konfrontiert sind.“ In jedem Falle belegt das Verhalten in seinen Augen eindeutig, dass Schimpansen ein hoch entwickeltes Gespür für den Tod besitzen.
Mütter tragen tote Jungen weiter mit sich
Ähnliches stellten auch Forscher einer zweiten, unabhängig davon entstandenen Studie fest. Dora Biro von der Universität Oxford und ihre Kollegen wurden im Laufe ihrer Studien Zeugen von insgesamt fünf Todesfällen in einer Schimpansengruppe in den Wäldern um Boussou in Guinea. 2wir haben die Tode von zwei Jungtieren beobachtet, beide starben an einem grippeähnlichen Atemwegsinfekt“, so Biro. „In jedem Fall sahen wir eine bemerkenswerte Reaktion der Schimpansenmütter auf den Tod ihrer Jungen: Sie trugen deren Leichen noch über Wochen und Monate nach deren Tod mit sich herum.“
Allmähliches „Loslassen“
Während dieser Zeit kümmerten sich die Mütter um die toten Jungen als wenn sie noch lebten: Sie trugen sie mit sich, groomten sie und nahmen sie mit in ihre Schlafnester. Im Laufe der Zeit beobachteten die Forscher jedoch allmählich ein „Loslassen“: Sie erlaubten auch anderen Artgenossen die Leichen zu nehmen und tolerierten immer längere Perioden der Trennung. Die anderen Gruppenmitglieder zeigten einiges Interesse an den toten Jungen, ließen aber keinerlei Abscheu merken.
„Schimpansen sind die nächsten Verwandten des Menschen und sie haben bereits bewiesen, dass sie uns in vielen ihrer kognitiven Leistungen ähneln: Sie fühlen mit anderen, haben einen Sinn für Fairness und kooperieren um Ziele zu erreichen“, erklärt Biro. „Wie sie den Tod wahrnehmen ist eine faszinierende Frage und bisher existierten dazu nur wenige Daten. Unsere Beobachtungen bestätigen die Existenz eines sehr starken Bandes zwischen Müttern und ihren Jungen, das selbst nach dem Tod des Kindes erhalten bleiben kann.“ Nach Ansicht der Forscherin haben solche und andere Beobachtungen weitreichende Bedeutung auch für die Frage der evolutionären Ursprünge des menschlichen Verhaltens gegenüber dem Tod.
(Cell Press, 29.04.2010 – NPO)