Neurobiologie

Keine stille Post im Gehirn

Kommunikation zwischen Nervenzellen effektiver als gedacht

Nervenzellen im Gehirn. Zu sehen sind einzelne Neurone, die sich über ihre Zellfortsätze mit vielen anderen Nervenzellen vernetzen. © Alexander Ecker, Jakob Reimer, Andreas Tolias / MPI für biologische Kybernetik

Eine aktuelle Studie im Wissenschaftsmagazin „Science“ hat neues Licht auf die Informationsverarbeitung im Gehirn geworfen. Danach ist die Kommunikation zwischen den Nervenzellen dort effektiver als gedacht. Eine geringere Anzahl an Neuronen reicht demnach aus, um große Datenmengen zu verarbeiten.

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Ich höre quietschende Reifen, sehe im Augenwinkel ein Auto näherkommen – und springe schnell zurück auf den Gehweg. Dass ich mit heiler Haut davon gekommen bin, verdanke ich den Millionen von Nervenzellen, die in meinem Gehirn die verschiedenen Informationen verarbeiten und in adäquate Handlungsanweisungen umsetzen. Die Kommunikation zwischen den Neuronen erfolgt dabei über kleine Spannungsimpulse, die Aktionspotentiale.

Schaltzentrale des Körpers

„Wir müssen verstehen, wie ein gesundes Gehirn funktioniert, wenn wir Menschen mit Fehlfunktionen helfen wollen, wie sie beispielsweise bei Autismus auftreten“, erklärt Andreas Tolias, Neurowissenschaftler am Baylor College für Medizin, USA, der zusammen mit Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik an der neuen Studie beteiligt war.

Das Gehirn ist die Schaltzentrale unseres Körpers, der Ort wo alle Informationen zusammengeführt werden. Es verarbeitet die unterschiedlichsten Eindrücke und koordiniert alle Bewegungen. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Nervenzellen erfolgt dabei auf verschiedenen hierarchischen Ebenen. Wenn wir beispielsweise mit den Augen etwas wahrnehmen, so wird diese Information nacheinander in etwa zwölf verschiedenen Regionen des visuellen Kortex verarbeitet. Die Weiterleitung der Signale von Zelle zu Zelle erfolgt dabei über elektrische Signale, die Aktionspotentiale.

Wenn Nervenzellen „feuern“

Die Wissenschaftler können diese Informationsleitung hörbar machen, da die einzelnen Nervenzellen „feuern“, wenn sie aktiv sind. Zeigt man einer Versuchsperson immer das gleiche Bild mehrmals hintereinander, so klingt die Feuerrate jedoch jedes Mal anders. Ein Teil der Nervenzellaktivität ist also unabhängig vom visuellen Reiz.

Bislang vermutete man, dass diese reizunabhängigen Aktionspotentiale bei benachbarten Nervenzellen aufgrund der engen Verknüpfung oft zu gleichen Zeiten auftreten. Dies wäre allerdings problematisch: Je stärker die Zellen korreliert sind, desto stärker wird das reizunabhängige Signal und desto schwieriger wird es für das Gehirn, zwischen relevanter und irrelevanter Information zu unterscheiden.

Neuronengruppe aus dem Kortex © Almut Schüz / MPI für biologische Kybernetik

Aktionspotenziale noch präziser messbar

„Wir haben eine Methode entwickelt, mit der wir Aktionspotentiale noch präziser messen können“, sagte Alexander Ecker vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Die Wissenschaftler haben trainierten Rhesusaffen verschiedene Bilder gezeigt, und gleichzeitig die Aktivität mehrerer, beieinander liegender Nervenzellen gemessen. Durch die neue Kombination von Messtechnik und Versuchsaufbau gelang dem deutsch-amerikanischen Wissenschaftlerteam der Nachweis, dass dicht beieinander liegende Nervenzellen unabhängig voneinander reagieren.

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Verschaltung von Neuronen im Gehirn so organisiert ist, dass deren Aktivitäten dekorreliert werden“, sagt Ecker. Das heißt, obwohl alle Nervenzellen die gleichen Informationen bekommen, setzt jede Nervenzelle diese anders um und leitet sie weiter. Jede Nervenzelle macht das Gleiche, aber nicht jede Nervenzelle macht es auf die gleiche Art und Weise. Erst durch die vielen unterschiedlichen Einzelhandlungen ergibt sich ein einheitliches Ganzes.

Informationsverarbeitung viel einfacher als gedacht

Dieser Mechanismus dient nach Ansicht der Wissenschaftler möglicherweise dazu, das Zusammenspiel zwischen den Nervenzellen bei der Signalverarbeitung zu verbessern und zu vereinfachen. „Die Informationsverarbeitung im Gehirn ist viel einfacher, wenn die Nervenzellenaktivität nicht korreliert ist. Wenn eine Hierarchieebene wissen will, was die andere tut, muss sie nicht erst Korrelationen herausrechnen“, sagt Tolias. Daher sind weniger Nervenzellen als bislang angenommen nötig, um große Datenmengen zu verarbeiten.

„Unsere Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die bisherigen Modelle des Hirnrindenaufbaus. Wenn wir wissen, wie das gesunde Gehirn funktioniert, können wir in Zukunft auch das Gehirn von Epileptikern oder Autisten besser verstehen“, hofft Neurowissenschaftler Ecker.

(idw – Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, 29.01.2010 – DLO)

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