Geowissen

Inuit finden immer den richtigen Weg

Komplizierte Wanderrouten in der Arktis werden mündlich von Generation zu Generation überliefert

Robbenjäger nahe Cape Dorset (1999) © Ansgar Walk / CC-by-sa 2.5

Die Wanderrouten der Inuit sind nicht nur reine Wege, um von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Vielmehr stehen sie für ein komplexes soziales Netz, das sich über die kanadische Arktis erstreckt – sie sind Ausdruck für die kulturelle Identität der Inuit. Die großen geographischen Kenntnisse der Inuit werden aber nur mündlich über viele Generationen hinweg überliefert, ohne dass dabei Kartenmaterial oder sonstige Schriftstücke zum Einsatz kommen. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer neuen Studie eines kanadischen Wissenschaftlers, über die dieser jetzt in der Springer-Fachzeitschrift „Human Ecology“ berichtet.

Mit einer Kombination aus historischen Dokumenten, ethnographischen Forschungspapieren, geographischen Hilfsmitteln wie GPS, GIS und Google Earth sowie einer kürzlich unternommenen Reise auf den Spuren eines traditionellen Trails der Inuit weist Claudio Aporta von der Carleton University in Ottawa das geographische Ausmaß des hochentwickelten Netzes von Wanderrouten der Inuit nach.

Geflecht aus Wanderwegen

Er beschreibt, wie sich die Inuit die arktische Umgebung zunutze machen und wie sie ihre Wanderwege als wichtige Kommunikations- und Tauschkanäle im gesamten Gebiet nutzen. Die Arktis ist für die Inuit ein Geflecht aus Wanderwegen, das die Gemeinden mit ihren weiter entfernt liegenden Nachbarn sowie mit den dazwischen liegenden Fischteichen und Jagdgebieten verbindet.

Obgleich es sich bei den Wanderrouten um keine gleichbleibenden Landschaftszüge handelt, ist es nach Ansicht des Forschers doch bemerkenswert, dass die Inuit sich ihre Routen einprägen und genau so mündlich weitergeben wie sie sie erfahren haben. Zum Wandern oder zur Darstellung geographischer Angaben verwenden sie keine Karten. Das Geschehen entlang der Route oder die dabei erlebte Geschichte wird zu einem der wichtigsten Mittel für die Informationsübertragung.

„Gelebte Trails“

Die Erinnerung an den Trail ist nach den Ergebnissen des Wissenschaftlers verflochten mit persönlichen sowie kollektiven Erinnerungen an vorherige Wanderungen sowie mit relevanten Umweltinformationen – wie Schnee- und Eisbedingungen, der Form von Schneeverwehungen, den Windrichtungen – und den Ortsnamen in Inuktitut, der Sprache der Inuit. Die Wanderrouten bleiben in der Landschaft auf Dauer nicht bestehen. Sie verschwinden, wenn die Schlittenspuren nach einem Schneesturm verdeckt werden oder der Schnee- und das Eis zum Frühjahrsende geschmolzen sind.

Dennoch prägt sich der räumliche Wanderweg den Menschen in ihr Gedächtnis und er wird bei der nächsten Wanderung wieder abgerufen. Die Trails werden somit nicht nur begangen, sondern in erster Linie „gelebt“, so Aporta.

Mündliche Geschichte

Durch das Abbilden der Wanderrouten mit Hilfe von modernen geographischen Mitteln hat der Wissenschaftler nachgewiesen, dass dieses komplexe und komplizierte Wissen über Jahrhunderte hinweg genau und exakt mündlich von Generation zu Generation überliefert werden kann. Er stellte fest, dass „mündliche Geschichte nicht a priori als unzuverlässig und ungenau zurückgewiesen werden sollte.“

(Springer-Verlag/Human Ecology, 05.02.2009 – DLO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Unser Gedächtnis - Erinnern und Vergessen von Bernard Croisile

Geographie - von Hans Gebhardt, Rüdiger Glaser, Ulrich Radtke, Paul Reuber

Landschaften der Erde - unter dem Einfluss des Menschen von Hans-Rudolf Bork

Eine kurze Reise durch Geist und Gehirn - von Vilaynur S. Ramachandran

Zu den Kältepolen der Erde - von Klaus Fleischmann

Descartes' Irrtum - Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn von Antonio R. Damasio

Landschafts formen - Unsere Erde im Wandel von Harald Frater

Top-Clicks der Woche