Biologie

Mehr Menschen mit absolutem Gehör

Fähigkeit überraschend häufig auch bei musikalisch Unerfahrenen

Auch Nicht-Musiker können ein absolutes Gehör besitzen © SXC

Es gibt mehr Menschen mit einem absoluten Gehör als angenommen. Das haben Wissenschaftler mithilfe eines neuartigen Tests herausgefunden. Die Fähigkeit, immer die genaue Höhe eines gehörten Tons zu identifizieren, galt bisher als beim Menschen sehr selten. Offenbar beherrschen sie jedoch auch musikalisch Ungeschulte durchaus häufig.

Das absolute Gehör galt bisher als Domäne der musikalischen Genies. Denn es beinhaltet die Fähigkeit, die Höhe jedes Tones eindeutig zu erkennen und auch aus dem Stehgreif reproduzieren zu können. Inwieweit das absolute Gehör aber möglicherweise auch unter nicht musikalisch vorgebildeten Menschen verbreitet ist, das konnte bisher nicht festgestellt werden. Erst ein an der amerikanischen Universität von Rochester neu entwickeltes Testverfahren gibt nun Aufschluss darüber.

„Die bisherigen Tests für das absolute Gehör haben immer erfordert, dass die Probanden bereits musikalisches Vorwissen besitzen oder zumindest mit einem bestimmten Musikstück vertraut waren“, erklärt Elizabeth Marvin, Professorin für Musiktheorie an der Eastman School of Music und Leiterin der aktuellen Studie. „Das schränkt den Pool der Kandidaten, die man testen kann, sehr ein. Das bedeutet auch, dass niemand wirklich weiß wie häufig das absolute Gehör beim Menschen ist.“

Relatives Gehör als typisch menschliche Errungenschaft?

Ausgangspunkt der neuen Studie waren Forschungen über das absolute Gehör und die Tonerkennung bei Tieren durch Marvins Kollegin Elissa Newport, Professorin für kognitive Wissenschaften in Rochester. Sie hatte bereits festgestellt, dass diese Fähigkeit im Tierreich sehr weit verbreitet ist. Beim Menschen dagegen, so dachte man bisher, dominierte das relative Gehör – die Fähigkeit, eine Tonfolge zu erkennen und damit die relative Lage der Töne zueinander, auch wenn diese transponiert sind. Vögel dagegen scheitern an solchen Aufgaben, da sie zwar die absoluten Tonhöhen merken, nicht aber deren Beziehungen zu anderen behalten. Für sie erscheint eine bekannte Melodie vollkommen fremd, wenn sie transponiert wurde.

Die Wissenschaftlerinnen wollten nun herauszufinden, wie es mit dem relativen und absoluten Gehör auch bei musikalisch ungeschulten Menschen bestellt ist. Dazu spielten sie sowohl Musikern als auch musikalisch unerfahrenen Probanden zunächst in einer 20 minütigen Tonreihe mehrere Gruppen von jeweils drei Tönen vor. Die Versuchsteilnehmer lernten so allmählich, die sich in unterschiedlicher Abfolge immer wiederholenden Tongruppen zu erkennen.

Transponierte Tonfolgen als Stolperstein

Dann folgte der eigentliche Test: Die Teilnehmern bekamen nun die bekannten Tongruppen zusammen mit neuen Gruppen sowie transponierten Versionen der alten Tongruppe zu hören und sollten angeben, ob ihnen die jeweilige Gruppe bekannt vorkam oder nicht. In ihrer Reaktion auf die alten und komplett neuen Tongruppen gab es zwischen den Probanden kaum Unterschiede.

Anders war dies jedoch, als die Einschätzung der transponierten Töne gefragt war: Ein Teil der Probanden erkannte die Abfolgen unbewusst als bekannt, obwohl sie in einer anderen Tonhöhe als die ursprünglich gelernte Gruppe vorlagen. Sie orientierten sich offensichtlich an den relativen Tonabständen zwischen den einzelnen Noten.

Ein zweiter Teil der Probanden jedoch hatte mit genau dieser relativen Einordnung Probleme und bewertete die nur transponierten Tonfolgen als komplett neu. Nach Ansicht der Forscherinnen ist dies ein Hinweis darauf, dass diese Probanden sich an den absoluten Höhen der Töne orientiert hatten und sich diese gemerkt hatte. Mit anderen Worten: Sie hatten ihr absolutes Gehör eingesetzt. Wurde die Tonhöhe dann verändert, erkannten sie unbewusst die Diskrepanz zum Gemerkten und werteten das Tonmuster daher als unbekannt.

Absolutes Gehör bei Nichtmusikern oft unbewusst

Um ihre Hypothese zu prüfen, testeten die Wissenschaftlerinnen anschließend den musikalisch erfahrenen Teil ihrer Probanden noch einmal mithilfe der konventionellen Tests auf ihr absolutes Gehör. Tatsächlich stimmten die Ergebnisse beider Tests gut überein.

Das eigentlich Überraschende der neuen Studie war jedoch, das unter den „absoluten Hörern“ auch viele musikalisch Unerfahrene waren. Sie nutzen ihr absolutes Gehör, ohne sich dessen bewusst zu sein. Der neue Test zeigte damit auch, dass es offenbar deutlich mehr Menschen mit dieser Fähigkeit gibt als bisher angenommen. Welche Faktoren für die Entwicklung eines absoluten oder relativen Gehörs eine Rolle spielen, sollen nun weitere Tests klären.

(University of Rochester, 27.08.2008 – NPO)

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