Die wichtigsten Strömungen der Atmosphäre waren während der letzen Eiszeit den heutigen Verhältnissen weitaus ähnlicher als bisher angenommen. So brach kalte Polarluft zwar häufiger, aber keineswegs stärker als heute in den Mittelmeerraum ein, wie eine jetzt in „Science“ veröffentlichte Studie zeigt. Außerdem bestehen auch größere Ähnlichkeiten als bisher gedacht zwischen der letzten Eiszeit und der „Kleinen Eiszeit“, die vom 15. bis 19. Jahrhundert n. Chr. dauerte.
Das Klima vergangener Zeiten wird untersucht, um die natürlichen Klimaschwankungen und die Funktionsweise des Klimasystems auch heute und für die Zukunft besser zu verstehen. Die plaäoklimatischen Daten tragen dazu bei die Vorhersagekraft von Klimamodellen mit hoher regionaler Auflösung zu verbessern. Klimavorhersagen sind für den dicht besiedelten Mittelmeerraum von besonderem Interesse, da laut Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) diese Region künftig besonders stark von Dürren, Hitzewellen und Großbränden betroffen sein wird. Die Verfügbarkeit von Wasser ist in dieser Region besonders kritisch.
Untersuchung am „Gebirge im Meer“
Unter der Leitung des Geologen Prof. Joachim Kuhlemann vom Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen hat daher eine Forschergruppe die durchschnittlichen atmosphärischen Strömungen im Mittelmeerraum während des letzten Eiszeitmaximums 23.000 bis 19.000 Jahre vor heute in einer dreidimensionalen Struktur rekonstruiert. Beteiligt waren auch Kollegen des National Oceanography Centre Southampton und von der ETH Zürich.
Die Tübinger Studie zeigt, wo die Niederschlagsmengen im Mittelmeerraum in der Eiszeit (LGM) besonders groß waren und welche Ursachen es für lokal stärkere Niederschläge gab. Eine geeignete Studienregion für solche Niederschlagsrekonstruktionen mit hoher räumlicher Auflösung wurde auf der Insel Korsika gefunden. Dieses „Gebirge im Meer“, das bis zu 2.706 Meter hoch ist, befindet sich in einer klimatischen Schlüsselposition in einem Gebiet, durch das oft Mittelmeer-Tiefdruckgebiete
ziehen.
In der Studie verglichen die Forscher die Oberflächentemperaturen des Meerwassers während der Eiszeit (LGM) mit der Höhenlage der klimatischen Schneegrenze. Diese ergibt sich aus der Temperatur und dem Niederschlag (Schnee). Durch die hohe räumliche Dichte, mit der Daten der Meerwassertemperaturen und Schneegrenze erhoben worden sind, konnten die Wissenschaftler erstmals auch die atmosphärischen Strömungen im Hochglazial in einer dreidimensionalen Struktur rekonstruieren und mit heutigen klimasteuernden Mechanismen sowie historischen Hinweisen zum Klima der Kleinen Eiszeit vergleichen.
Polare Kaltluft über dem Mittelmeer
Eine der Schlüsselbeobachtungen besagt, dass Polarluft öfter, aber nicht mit stärkerem Wind ins Mittelmeer eingebrochen ist als heutzutage. Derartige Polarlufteinbrüche kommen weiterhin vor. Ein Beispiel vom 8. bis 14. Februar 2006 zeigt, wie ein solches, relativ seltenes Ereignis von einigen Tagen die Klimabedingungen und die Gesellschaft beeinflusst. In diesem Zeitraum rotierte ein stagnierendes Tiefdruckgebiet über Zentraleuropa, das über die Westseite zwischen Alpen und Pyrenäen hindurch Polarluft nach Süden in das westliche Mittelmeergebiet schaufelte. Im Rückseitenwirbel der Alpen bildeten sich in der Folge im Golf von Genua mehrere Tochter- Zyklone, die die Polarluft weiter nach Süden vorantrieben.
Beim Abwandern nach Osten oder Südosten erzeugen solche kleinen Tiefdruckgebiete starken Wind, dem oft Kälte und starker Schneefall auf der Nordseite (= Rückseite) des abziehenden Tiefs folgen. Im Februar 2006 gab es vor dem Polarlufteinbruch im Mittelmeergebiet starken Schneefall in Mitteleuropa, insbesondere in Bayern. Etliche solcher Ereignisse in den Wintern 2005 und 2006 fanden in den Medien mit Bildern von Schnee in der Sahara (Ost-Algerien) und an den Stränden Mallorcas sowie tagelang blockierten Straßen in Süditalien ihren Niederschlag. Solche Ereignisse können mehr als einen Meter Schnee in den mediterranen Gebirgen liefern und auf Korsika selbst Ende Mai bis Anfang Juni vorkommen (wie 2006, 2007 und 2008, bis 50 Zentimeter Schnee). Diese Schneemengen stellen die Wasserreserve im trockenen Mittelmeersommer dar.
Es scheint nunmehr, dass solche Ereignisse nicht nur in der Kleinen Eiszeit, sondern auch im letzten Hochglazial viel häufiger vorkamen. Diese Beobachtungen sind wichtige Kriterien zur Überprüfung der Qualität von regionalen Klimamodellen, bevor diese auf künftige Klimavorhersagen im Mittelmeerraum angewendet werden.
(Universität Tübingen, 01.08.2008 – NPO)