Chile hält einen traurigen Weltrekord: 1960 erschütterte das weltweit stärkste, jemals mit Messgeräten registrierte Erdbeben die Hafenstadt Valdivia und erreichte eine Moment-Magnitude von 9,5. Über 2.000 Menschen mussten damals ihr Leben lassen. Der Grund für das ungewöhnlich starke Beben liegt vermutlich in den seismischen Tiefenbrüchen, die durch die Subduktion der ozeanischen Nazca-Platte unter den südamerikanischen Kontinent hervorgerufen werden.
{1l}
Seismologen warnen davor, dass die Region in den nächsten Jahren vermutlich erneut von einem verheerenden Starkbeben größer Magnitude 8 heimgesucht werden könnte – diesmal allerdings rund um die zweitgrößte chilenische Stadt Concepción. Grund genug, den Zusammenhängen zwischen der Subduktion und der Häufung von Starkbeben auf den Grund zu gehen. Das von den GEOTECHNOLOGIEN geförderte BMBF-Forschungsvorhaben „TIPTEQ – From The Incoming Plate to mega-Thrust EarthQuake processes“ hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, die Abschätzung dieses regionalen seismischen Gefährdungspotenzials zu verbessern.
Entstehung von Erdbeben
Das Grundprinzip für die Entstehung von Erdbeben ist relativ einfach: Die Lithosphäre, der obere Bereich der Erde, besitzt keine scharfe Grenze nach unten, sondern geht unterhalb von 150 bis 200 Kilometern Tiefe graduell in die weichere und dem schmelzflüssigen Zustand nahe Asthenosphäre über. Auf dieser weichen Schicht bewegen sich die Lithosphärenplatten horizontal gegeneinander, auseinander oder aneinander vorbei.
Die dabei freigesetzten starken Zug- oder Druckkräfte führen an den Plattenrändern, wie auch in der Subduktionszone vor Südamerika, zu Spannungen und geologischen Veränderungen. Bricht das Gestein an solch einer tektonischen Störung unter dem Druck der aufgestauten Spannung, wird die freiwerdende Energie in Form von Wellen abgegeben – die Erde bebt. Normalerweise finden Erdbeben in der so genannten seismogenen Zone statt, die sich unter dem sowohl seewärtig als auch landseitig küstennahen Teil aktiver Kontinentränder in bis zu 40 Kilometern Tiefe befindet.
Subduktion als Auslöser
{2r}
Doch wie so häufig steckt die Tücke auch hier wieder im Detail. Denn auffällig ist die Häufung von Starkbeben in der Kontaktzone konvergierender Lithosphärenplatten – neun der zehn stärksten Beben der letzten einhundert Jahre fanden in solchen Subduktionszonen wie vor der Südküste Chiles statt. Doch was die Ursachen angeht, stehen die Forscher hier bislang vor einem ungelösten Rätsel. Zu den vermuteten und bislang weitestgehend unerforschten Prozessen in einer Subduktionszone gehören beispielsweise die hydraulische Bruchbildung, Phasentransformationen oder auch komplizierte petrologische Reaktionen.
Die Wissenschaftler der verschiedenen Arbeitsgruppen erhoffen sich durch ihr Projekt TIPTEQ neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Subduktion und Starkbebenereignissen. Vermutlich werden mit den 2007 zu erwartenden Ergebnissen wesentliche Fortschritte in der Abschätzung des regionalen seismischen Gefährdungspotenzials erzielt werden können. Durch das zunehmende Verständnis um die Prozesse in der Tiefe der Erde ließen sich dann auch die Überwachungssysteme entsprechend verbessern. Zwar wird nach wie vor der Zeitpunkt eines Erdbebens unvorhersagbar bleiben, doch bereits die Verbesserung der Vorhersagewahrscheinlichkeit wäre nach Ansicht der Forscher ein Erfolg.
(GFZ Potsdam, GEOTECHNOLOGIE; TIPTEQ, IFM-Geomar, 22.11.2004 – AHE)