Das tibetische Plateau liegt auf dem “Dach der Welt” – der Region Asiens, die sich anhob, als der indische und der asiatische Kontinent kollidierten. Jetzt hat ein Geologe festgestellt, dass die spektakulären Rift-Täler Tibets keineswegs – wie bisher angenommen – alle in Nord-Süd-Richtung verlaufen, sondern kurvenförmig nach Osten und Westen abkippen.
„Jeder schaute sich die Rifts an und sagte sie verlaufen von Norden nach Süden“, erklärt Paul Kapp, Geowissenschaftler der Universität von Arizona in Tucson. „Ich guckte mir das ebenfalls an und – sie tun es nicht.“ Die neuen Erkenntnisse des Forschers widersprechen einer etablierten Theorie, nach der die Rifts eine Konsequenz des langsamen Überfließens Tibets über die nördliche Kante des Indischen Kontinents ist.
Die neue Studie Kapps deutet darauf hin, dass das tibetanische Plateau zwischen dem indischen Subkontinent im Süden und dem soliden Wall des nördlichen China zusammengedrückt wird. Als Resultat spaltet sich Tibet auf wie eine Orange in der Presse. Zudem widerspricht er auch der gängigen Vorstellung, dass Tibet, die höchste Hochebene der Erde, an Höhe verliert. Bisherige Forschungen gingen davon aus, dass Tibet vor rund acht Millionen Jahren seinen Höhepunkt erreichte und jetzt langsam absinkt.
“Meine Hypothese prognostiziert, dass das Plateau höher wird und nicht kollabiert“, erklärt Kapp. „Wir sind an einer Stelle, an der Kontinente gegen einander rammen. Statt dass Tibet sich wie ein Akkordeon zusammenfaltet sehen wir diese Rifts. Sie kommen von der Ost-West-Dehnung des Plateaus.“
Schon Jahre zuvor hatte Kapp über das Rätsel der Rift-Richtungen gegrübelt. „Ich brauchte acht Jahre, um das Muster zu erkennen. Dann dauerte es zwei Tage bis ich auf die Erklärung kam“, so der Wissenschaftler.
Gebogene Form der Rifts enthüllt
Geologen nutzen häufig digitale Höhenmodelle (DEM), die aus Satellitenbildern entwickelt werden. Diese Karten zeigen die Oberfläche der Erde in sehr feinem Detail, verdecken aber teilweise die unterliegende Struktur der Erdkruste und auch der Rifts. Kapp und sein Kollege Jerome Gunn entfernten daher mithilfe eines Computerprogramms die oberflächlichen Schichten des Höhenmodells und enthüllte so die gebogenen Form der Rifts.
Weil Indien mit Tibet direkt frontal kollidiert, entwickelt das tibetanische Plateau Spannungsrisse, die sich von der Hauptachse der Kollision weg biegen. Die beiden Wissenschaftler entwickelten ein mathematisches Modell, um die Hypothese zu testen. Tatsächlich stimmte ihre Beobachtung mit der Simulation im Modell überein. Gleichzeitig zeigte sich, dass der untere Teil des indischen Subkontinents sich unter Tibet schiebt und dabei das Plateau anhebt.
Diese Prognose in der Realität zu testen, ist allerdings nicht einfach, da die Höhenmessungen des Plateaus trotz immer besserer Technik schwierig sind. „ich denke, es wird noch die nächsten fünf Jahre Einiges an Diskussionen darüber geben“, prognostiziert Kapp.
(University of Arizona, 17.11.2004 – NPO)