Biologie

Babys denken anders

Wahrnehmung von Säuglingen neu untersucht

Weniger als fünf Monate alte Säuglinge können zwar noch nicht sprechen, aber sie denken. Und das zudem noch anders als ihre Eltern, denn sie unterscheiden Bedeutungskategorien von Ereignissen, die Erwachsene nicht mehr wahrnehmen. Eine in Nature veröffentlichte Studie von amerikanischen Wissenschaftlern belegt nicht nur erstmals die Denkprozesse in nicht-sprachfähigen Babys, sie geben auch einen Einblick in die Sprachentwicklung von Kindern.

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„Vorhergehende Studien haben gezeigt, dass Erwachsene Dinge unterschiedlich kategorisieren, je nachdem, welche Sprache sie sprechen“, erklärt Sue Hespos, Psychologieprofessorin an der Vanderbilt Universität, die die Forschung gemeinsam mit ihrer Kollegin Elizabeth Spelke von der Harvard Universität durchführte. „Wenn also die Sprache das Denken von Erwachsenen beeinflusst, was geht dann in nicht-verbalen Kindern vor? Denken Kinder bereits bevor sie sprechen?“

Töne und Bedeutungen sprachspezifisch

Studien haben gezeigt, dass Säuglinge akustische Variationen in einer fremden Sprache wahrnehmen können, die eine Bedeutung transportieren – die aber die Erwachsenen nicht mehr unterscheiden können. So kann beispielsweise ein erwachsener Engländer oder Amerikaner bestimmte Töne oder Klangfarben im Koreanischen nicht unterscheiden, umgekehrt fällt es dem Koreaner schwer, bestimmte typisch englische Tonabstufungen wahrzunehmen. Säuglinge dagegen hören diese feinen Tonunterschiede, sie verlieren diese Fähigkeit allerdings, sobald sie im Verlauf ihres ersten Lebensjahrs selbst ´beginnen zu sprechen.

„Die Sprachen der Welt variieren sowohl in den Tönen, die die Sprecher unterscheiden müssen, als auch in den Bedeutungen und Kategorien, die diese Töne transportieren, und diese Unterschiede bedingen, was Menschen einer Sprache hören und interpretieren“, erklärt Spelke. „Wir haben und gefragt, wie diese Unterschiede entstehen: Ist es die Erfahrung des Englisch oder Koreanisch Lernens, die uns lehrt, die Tonkategorien und ihre Bedeutung wahrzunehmen?“

“Eng“ und „weit“ versus „in“ und „auf“

Um dies zu testen, nutzten die Forscherinnen einen Unterschied in der Raumbeschreibung zwischen Englisch und Koreanisch: Das Koreanische unterscheidet, ob zwei Gegenstände eng oder weit zusammenhängen. Eine Kappe auf einem Filzstift beispielsweise wäre eine Beziehung des „engen Passens“, ist der auf dem Tisch liegende Stift ein „lockeres Passen“. Im Englischen (und im Deutschen) dagegen existiert diese Unterscheidung nicht, stattdessen würde man die Art der Beziehung von vornherein anders charakterisieren: als „Umschließen“ beziehungsweise „Aufliegen“.

Hespos und Spelke testeten, ob fünf Monate alte Kinder aus englisch-sprachigen Familien zwischen „eng“ und „lose“ zusammenhängend unterscheiden konnten. Im Blickfeld der Babys wurden Gegenstände in einen Behälter gelegt, die entweder nur knapp passten oder aber reichlich Raum um sich ließen. Es zeigte sich, dass die Kinder nach einem Wechsel zwischen eng und weit die Objekte länger fixierten, als wenn das Raumverhältnis gleich blieb. Sie folgten damit offenbar den koreanischen Konzept. Erwachsene dagegen schenkten diesen Unterschieden keine Beachtung und konzentrierten sich stattdessen darauf, ob der Gegenstand überhaupt in oder auf etwas gelegt wurde.

„Erwachsene ignorieren die eng-weit Unterschiede zugunsten der ‚in‘ oder ‚auf‘ Beziehung“, erklärt Hespos. „Diese Ergebnisse suggerieren, dass der Mensch einen reichen Schatz an Wahrnehmungskonzepten besitzt, bevor er eine Sprache lernt. Die Sprachentwicklung könnte dann dazu führen, dass bestimmte Konzepte gegenüber anderen bevorzugt werden.“

(Vanderbilt University, 26.07.2004 – AHE)

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