Heute werden mehr als 100 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe in fast allen Oberflächengewässern, zum Teil auch im Grundwasser und selbst im Trinkwasser nachgewiesen. Rechtliche Regelungen greifen zu kurz. Aktuelle Forschungsprojekte des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung zeigen wirkungsvolle Strategien zur Lösung des Problems.
Die häuslichen Abwässer sind die Hauptquelle des Problems. „Damit Arzneimittel im menschlichen Körper genau dort wirken, wo sie gebraucht werden, werden manche Arzneimittelwirkstoffe so gebaut, dass sie ausreichend stabil sind für ihre Reise durch den menschlichen Körper“, erklärt Dr. Martina Winker. Danach werden Wirkstoffe direkt oder als Abbauprodukte mit dem Urin wieder ausgeschieden und gelangen so ins Abwasser und damit in die Kläranlagen. Hier erschwert die große Bandbreite der chemischen Verbindungen den weiteren Abbau. „Ein Teil der Arzneimittelrückstände wird daher gar nicht, andere nur zum Teil entfernt und finden so ihren Weg über den Wasserkreislauf in die Umwelt und letztlich wieder zum Menschen“, sagt Winker.
Eindeutige Daten über die Höhe des Arzneimittelverbrauchs gibt es nicht. Es werden nur jährliche Hochrechnungen veröffentlicht. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen stammen aus dem Jahr 2011. Danach wurden über Apotheken und Krankenhäuser insgesamt 38.000 Tonnen Arzneimittel abgegeben, verteilt auf 2.671 verschiedene Wirkstoffe. Zu den verkaufsstärksten Wirkstoffgruppen gehörten Schmerzmittel (2.500 Tonnen), gefolgt von Antibiotika (500 Tonnen).
Keine EU-weite Strategie
„Derzeit gibt es weder in Deutschland noch auf europäischer Ebene eine abgestimmte Strategie, mit der das Problem von Arzneimitteln in unserem Wasser wirkungsvoll angegangen werden kann“, sagt Dr. Konrad Götz (ISOE). „Die rechtlichen Regelungen innerhalb des europäischen Zulassungsverfahrens konzentrieren sich bisher auf die wenigen Neuzulassungen und werden dem Problem nicht gerecht“, sagt Götz. Es bestehe daher dringender Bedarf an Lösungen, die das Problem systematisch angehen – unter Berücksichtigung des hohen gesellschaftlichen Nutzens von Arzneimitteln. Eine Änderung der gegenwärtigen Verschreibungspraktiken sowie der Gebrauchs- und Entsorgungsmuster beim Patienten spielt hierbei eine wichtige Rolle.
Das ISOE führt daher im Auftrag des Umweltbundesamtes und in Zusammenarbeit mit der Uni Witten-Herdecke ein Projekt zur Sensibilisierung von Medizin-Studierenden und zur Weiterbildung von Ärzten durch. „Aber letztlich geht es um Lösungen, die umfassend wirken“, sagt ISOE-Forscher Götz. Im Projekt start wurde daher ausgehend vom Lebenszyklus eines Medikaments eine Vorsorgestrategie entwickelt – gemeinsam mit Ärzten, Apothekern, der Pharmaindustrie und Kommunen.
Das Thema erfährt heute eine größere Aufmerksamkeit als noch vor wenigen Jahren. Auch eine verbesserte Forschungsförderung auf Bund-, Länder- und EU-Ebene zeigt Erfolge. So arbeitet das ISOE heute an Kommunikationsstrategien zur Sensibilisierung der Patienten, Ärzte und Apotheker, entwickelt Maßnahmen zur zielgruppenspezifischen Aufklärung der Bevölkerung und Handlungsstrategien für sogenannte Emissions-Hotspots: Spezialkliniken und Pflegeeinrichtungen. „Dies kann jedoch erst der Anfang sein. Für einen nachhaltigen Schutz der Umwelt ist noch einiges zu tun und bedarf es weiterer Anstrengungen“, lautet das Fazit der ISOE-Forscher.
(Institut für sozial-ökologische Forschung ISOE, 25.03.2013 – NPO)