Medizin

Coronavirus: Reproduktionszahl genauer geschätzt

Karlsruher Institut für Technologie

In Zeiten von Corona schauen alle auf die Reproduktionszahl. Doch der wichtige Wert ist mit Unsicherheiten behaftet. Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) stellen nun eine Methode zur Schätzung der Reproduktionszahl vor, die Zeitverzögerungen vermeidet und wochentagsbedingte Schwankungen kompensiert. Dazu setzen die Wissenschaftler ein akausales Filter mit einer Filterlänge von sieben Tagen ein, das nicht nur vergangene und gegenwärtige, sondern auch zukünftige Werte verwendet. Deren Schätzung geschieht auf der Basis des gleichen Wochentags der Vorwoche – ähnlich wie bei Lastprognosen im Energiesektor.

Die Coronavirus-Pandemie beeinflusst unser Leben weiterhin – täglich gibt es neue Informationen und aktuelle Zahlen. Neben der Zahl der neuen Fälle gilt die Reproduktionszahl R als wichtiger Indikator für das Infektionsgeschehen. Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele Personen ein Infizierter im Mittel ansteckt. Liegt R über 1, weist dies darauf hin, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen steigt, was besondere öffentliche Aufmerksamkeit hervorruft. Die Reproduktionszahl ist von großer Bedeutung für den Umgang mit der Pandemie. Doch ihre Schätzung anhand mathematischer Modelle ist mit gewissen Unsicherheiten behaftet – unter anderem deshalb, weil die gemeldeten Fallzahlen wochentagsabhängig sind und örtliche Ausbrüche sie sprunghaft steigen lassen. Forscher am Institut für Automation und angewandte Informatik (IAI) des KIT haben nun eine Methode zur Schätzung einer zeitabhängigen Reproduktionszahl R entwickelt, die unerwünschte Zeitverzögerungen vermeidet und wöchentliche Periodizitäten kompensiert. In einer Publikation des KIT stellen die Wissenschaftler ihre Methode am Beispiel von SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19 vor, wobei sie auf die vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Daten zurückgreifen.

Die Reproduktionszahl basiert auf dem Quotienten der Zahl der Neuerkrankungen in zwei aufeinanderfolgenden Zeiträumen. Um Diagnose-, Übermittlungs- und Meldeverzüge auszugleichen, greift die Schätzung auf ein statistisches Verfahren zurück, das sogenannte Nowcasting. Ein mathematisches Filter dient dazu, die Daten zu glätten, um beispielsweise Schwankungen im Wochenverlauf oder Verzerrungen durch örtliche Ausbrüche auszugleichen. Für ihre Methode zogen die Forscher Zeiträume von sieben Tagen heran und verwendeten ein sogenanntes akausales Filter. Während kausale Filter nur vergangene und gegenwärtige Werte verwenden, setzen akausale Filter auch zukünftige Werte ein. Dabei erfolgt die Schätzung der zukünftigen Fallzahlen auf der Basis des gleichen Wochentags der Vorwoche. Bei Bedarf lassen sich auch Feiertage berücksichtigen.

„Akausale Filter vermeiden unerwünschte Zeitverzögerungen, wie sie bei kausalen Filtern auftreten“, erklärt Professor Ralf Mikut vom IAI, der die Methode konzipiert hat. „Der Ansatz, zukünftige Zahlen auf der Basis des gleichen Tags der Vorwoche zu schätzen, hat sich in anderen Bereichen mit wöchentlicher Periodizität bewährt – beispielsweise bei der Lastprognose in Energiezeitreihen.“ Die Karlsruher Wissenschaftler verglichen ihre Methode mit den existierenden Ansätzen des RKI und stellten fest, dass sie wöchentliche Periodizitäten besser ausgleicht sowie Phasen reduziert, in denen R nur scheinbar über 1 liegt. Aus dem von der Helmholtz Information & Data Science School for Health (HIDSS4Health) und der Helmholtz Artificial Intelligence Coorporation Unit (Helmholtz AI) geförderten Projekt leiten die Wissenschaftler die allgemeinen Empfehlungen ab, bei der Schätzung der Reproduktionszahl die Wochentagsabhängigkeit aller Ergebnisse konsequent zu prüfen und bei wochentagsabhängigen Fallzahlen durchgängig Filter mit einer Filterlänge von sieben Tagen einzusetzen sowie akausale Filter zu verwenden, um Zeitverzögerungen zumindest teilweise zu kompensieren. (KIT, 2020; doi: 10.5445/IR/1000119466)

Quelle: Karlsruher Institut für Technologie

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