Das Dorf Arschan liegt mitten im Nirgendwo: Auf einer entlegenen Hochebene der sibirischen Steppe, ganz am Rand der russischen Republik Tuwa. Nur eine Straße führt aus dem Osten, aus Richtung der Kreisstadt Turan, in die 30 Kilometer lange und rund zehn Kilometer breite, ringsum von Bergen umgebene Senke, in der Arschan liegt. Dennoch nennen die Bewohner dieser Gegend dieses Tal „Dolina Zarej“ – das Tal der Zaren.
Warum, zeigt sich, wenn man den leichten Hügel am Taleingang überquert hat und auf die Senke hinunterblickt: Im ganzen Tal verteilt stehen unzählige Grabhügel aus der frühen Skythenzeit. „Ich habe wenige Nekropolen gesehen, die eine solche Ballung an Großkurganen aufweisen, das sind sicher Hunderte, die sich in zwei bis drei Ketten durch das Tal hindurchziehen“, berichtet der Archäologe Parzinger. Die ganze Ebene sei ein einziger Friedhof. Am Ende des Tales, ganz im Westen, steht ein wahrer Riese unter den Kurganen: er ist 30 Meter hoch und seine Basis hat einen Durchmesser von 200 Metern.
Leichte Beute für Grabräuber
Für die Archäologen ein gefundenes Fressen, könnte man meinen. Doch das Ganze hat einen Haken: Eben weil diese Kurgane so auffällig sind, sind sie im Laufe der Jahrhunderte auch immer wieder Grabräubern aufgefallen. Ähnlich wie im ägyptischen Gegenpart zu diesem sibirischen Tal der Könige sind die meisten Gräber hier längst ausgeplündert und dabei meist so stark zerstört, dass selbst die Erforschung ihrer inneren Struktur für die Forscher schwierig ist.
Umso größer die Überraschung, die Parzinger und seine russischen Kollegen im Jahr 2001 erleben sollten. Sie hatten sich für diese Grabungssaison einen Kurgan ausgesucht, der augenscheinlich bereits geplündert war: In der Mitte des Hügels reichte ein aufgegrabener Trichter in die Tiefe. „Zudem hatten hier hatten die Bewohner der Umgebung seit den 1970er Jahren Steine für ihren Hausbau entnommen“, erklärt Parzinger. Da es ihnen aber ohnehin mehr um die Architektur des Kurgans geht, ist das kein Hindernis. Sie wählen einen Sektor, der seitlich am Hügel liegt und beginnen zu graben.
Schon durch die Ritzen schimmerte das Gold
In rund vier Metern Tiefe stoßen die Archäologen auf eine Abdeckung aus massiven Holzbalken – eigentlich typisch für die Grabkammer eines solchen Kurgans. „Wir haben dann die Balken weiter gereinigt und dann sah man schon durch die Ritzen Gold schimmern“, beschreibt Parzinger den Moment der Entdeckung. Um mehr zu sehen, schieben die Forscher eine an einem Stock befestigte Videokamera durch eine Stelle, an der die Balkendecke eingebrochen ist – und trauen ihren Augen kaum. „Wir waren wirklich sprachlos.“ Im Grab liegen zwei mit reichem Goldschmuck bedeckte Tote, offenbar ein Herrscherpaar der Skythen – und ein wahrer Goldschatz: Mehrere tausend Goldobjekte, darunter prunkvoll verzierte Waffen, Pferdegeschirre, Schmuckstücke und Gefäße sowie die Skelette von mit ihnen begrabener Pferde.
Allein der goldene Halsreif des Fürsten wiegt zwei Kilogramm und ist aus massivem Gold gefertigt. „Das ist ein ganz faszinierende Stück“, sagt Parzinger. Denn wie sich zeigt, sind die vier Ringe des Reifs nicht einfach nur gemustert, sondern bestehen aus winzigen, ineinander verschränkten Tierfiguren – Pferden, Hirschen, Kamelen und Raubtieren. Und obwohl diese kunstvoll ziselierten Figuren gerade einmal zwei Zentimeter lang sind, sind selbst Krallen und Hufe der Tiere deutlich zu erkennen. „Das ist ein echtes Meisterwerk der Metallkunst“, so der Archäologe. Und er zeige sehr gut, wie weit fortgeschritten die Skythen in der Metallbearbeitung, aber auch in ihrer Kunst waren. „Das hätte man in dieser Region zu dieser Zeit vorher gar nicht für möglich gehalten.“
Gold an Kleidung, Waffen und sogar den Pferden
Und auch die restliche Kleidung und Ausrüstung der Toten ist reich geschmückt: Das Obergewand des Fürsten ist mit 5.000 goldenen Pantherfiguren besetzt, andere Kleidungsstücke mit Goldperlen bestickt. Neben ihm liegt ein goldener Köcher, gefüllt mit Pfeilen, der goldene Griff einer Reitpeitsche ist ebenfalls erhalten. Selbst die Mähnen der geopferten Pferde sind mit Kupfer und Gold verziert. Arm waren die Reiternomaden der Steppen demnach offenbar nicht.
Woher aber hatten sie ihr Gold? Hinweise darauf liefern alte Schächte aus der Skythenzeit, die Archäologen im Altaigebirge und in Kasachstan gefunden haben. Offenbar verfügten sie durchaus schon über Möglichkeiten, Gold und Kupfer abzubauen – oder aber es von benachbarten Volksstämmen abbauen zu lassen.
Nadja Podbregar
Stand: 16.08.2013