Was hat eine Dauerwelle mit Proteinen zu tun? Haare bestehen hauptsächlich aus Keratin, einem Protein. Es ist so stabil, dass Mumien selbst nach Jahrtausenden noch Haare haben können. Um diesem Dauerprotein eine neue Form zu geben, sind daher drastische Mittel nötig – die Dauerwelle. Diese ändert die Struktur des Proteins auf chemische Weise, oder genauer gesagt, die Verbindungen zwischen einzelnen Bausteinen des Proteins.
{1l}
Vernetztes Protein hält die Frisur stabil
Von diesen Bausteinen, den Aminosäuren, sind allein 21 verschiedene notwendig, um sämtliche Proteine des Menschen Körpers aufzubauen. Wie Perlen auf einer Schnur bilden sie eine lange Kette. Einzig welche Aminosäure an welcher Stelle steht, entscheidet über die Eigenschaften des Proteins. Verantwortlich für die Dauerwelle ist eine Aminosäure namens Cystein: Diese kann mit anderen Cysteinmolekülen in der Kette Querverbindungen bilden. Für eine Dauerwelle werden diese Bindungen chemisch gelöst und erst neugebildet, wenn die Haare in der gewünschten Form liegen.
Wenn aber die Art und Reihenfolge der Perlen in der Kette so entscheidend ist, woher erhalten die Proteine die richtige Reihenfolge? Welche Aminosäure an welcher Stelle der Kette steht, legen die Gene fest. Das genetische Material buchstabiert gewissermaßen die Reihenfolge. Übersetzt wird dieser Code von den Proteinfabriken der Zelle: den Ribosomen. Anhand der genetischen Vorgaben verknüpfen diese Komplexe aus Proteinen und Nucleinsäuren eine Aminosäure mit der jeweils nächsten und verlängern so Stück für Stück die Kette.
Riesen-Protein mit stundenlangem Namen
Ein typisches Protein hat eine Länge von etwa 100 bis 300 Aminosäuren. Wenn es annähernd kugelförmig ist, beträgt sein Durchmesser rund fünf bis zehn Nanometer. Allerdings gibt es auch wahre Giganten: Das größte bekannte Protein ist das Titin, ein Bestandteil der Muskelfasern, mit rund 33.000 Aminosäuren. Da die chemisch-systematischen Bezeichnungen eines Proteins im Grunde aus einer Aufzählung der einzelnen Aminosäurereste bestehen, ist der systematische Name von Titin gleichzeitig das längste bekannte Wort: der Name besteht aus etwa 190.000 Buchstaben, ihn laut vorzulesen dauert rund dreieinhalb Stunden.
Die ganze Aminosäurekette eines Proteins bezeichnet man als die Primärstruktur. Sie liegt normalerweise nicht in einer geraden Linie vor. Vielmehr knäult sie sich zusammen wie ein loser Faden. Dies geschieht jedoch alles andere als zufällig: Der Faden spult sich zu Schrauben und blatt-artigen Formationen zusammen, der sogenannten Sekundärstruktur. Diese lagern sich schließlich zur nächsthöheren Ebene, der Tertiärstruktur zusammen.
Gefaltete Struktur im Schlafsand
Diese Faltung ist für jedes Molekül eines Proteins identisch, sie gibt ihm die Form, die für seine Funktion entscheidend ist. Bei manchen Proteinen lagern sich mehrere Proteine zu einer noch größeren Einheit zusammen und bilden eine Quartärstruktur. Prominentes Beispiel hierfür ist der Blutfarbstoff Hämoglobin, der den Sauerstoff in den roten Blutkörperchen für den Transport bindet. Hämoglobin besteht aus insgesamt vier Proteinketten: jeweils zwei Moleküle einer Alpha- und einer Beta-Untereinheit bilden zusammen das funktionsfähige Protein.
Eine Eigenschaft dieser Faltung ist für Wissenschaftler besonders praktisch: Weil sich die gefalteten Moleküle eines Proteins hochgradig gleichen, lassen sie sich in Kristallstrukturen anordnen. Dies machen sich Wissenschaftler bei der Proteinkristallisation zunutze: Wenn eine Proteinlösung unter kontrollierten Bedingungen verdunstet und die Proteinkonzentration dadurch langsam ansteigt, bilden sich Proteinkristalle. Mit Röntgenstrahlen lässt sich dann die räumliche Struktur des Proteins enträtseln. Die einfachste, wenn auch nicht saubere Form von Proteinkristallen kennt jeder, der morgens verschlafen aufwacht: Der „Schlafsand“ in den Augenwinkeln besteht zum Teil aus dem Protein Lysozym, das mithilft, die Augen frei von Bakterien zu halten.
Ansgar Kretschmer
Stand: 21.03.2014