Unter der Eiskruste des Jupitermonds Europa könnte sich aber noch mehr verbergen als nur ein Ozean und Seen mit flüssigem Wasser: Möglicherweise laufen in der Tiefe des Eises chemische Reaktionen auch zwischen gefrorenen Stoffen ab – und dies sogar erstaunlich schnell. Bisher galt dies als nahezu unmöglich. Denn bei Temperaturen auf dem Mond von minus 187° bis minus 143°C ist es eigentlich viel zu kalt für chemische Reaktionen. Sie bräuchten dort eine zusätzliche Energiezufuhr.
Jupiter als Katalysator
Eine solche gibt es im Prinzip auch – und sie kommt vom Jupiter. Seine Strahlungsgürtel überfluten sein Umfeld ständig mit einem Strom energiereicher Teilchen und Strahlung. Treffen sie auf die Oberfläche von Europa, könnte sie dort durchaus chemische Prozesse auslösen. Allerdings dringen die meisten dieser Teilchen nur wenige Zentimeter in die Eisoberfläche vor. Dass es in der Tiefe der Eiskruste noch nennenswerte chemische Aktivität geben könnte, hielten die meisten Planetenforscher daher bisher für äußerst unwahrscheinlich.
Doch es geht auch ohne Strahlung und Teilchenstrom vom Jupiter, wie Mark Loeffler vom Goddard Space Flight Center der NASA und seine Kollegen bereits 2010 in Laborexperimenten herausfanden. Für ihre Versuche sprühten die Forscher Wasserdampf und Schwefeldioxidgas auf Spiegel in einer Hochvakuumkammer, die auf 50 bis 100 Kelvin heruntergekühlt waren – dies entspricht minus 223° bis minus 173°C. Die Gase kondensierten dabei sofort und wurden zu Eis. Durch frühere Messungen von Raumsonden ist bekannt, dass Schwefel im Eis von Europa präsent ist, vermutlich stammt es aus den Eisvulkanen des Jupitermonds Io, vielleicht aber auch aus dem subglazialen Ozean von Europa selbst. Was damit geschieht, war aber bislang unbekannt.
Reaktion bei minus 173 Grad
Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie beobachteten die Wissenschaftler dann, was in ihrer Reaktionskammer weiter geschah. Es zeigte sich, dass das Schwefeldioxid trotz der extremen Kälte mit den Wassermolekülen reagierte und sich positive und negative Ionen bildeten. Bei minus 143°C, spielte sich diese Reaktion nahezu sofort ab. Bei minus 173°C erreichte die Reaktion immerhin nach rund einem halben bis einem Tag ihre Sättigung.
„Das klingt vielleicht nicht schnell, aber nach geologischen Maßstäben – Milliarden von Jahren – ist ein Tag wie ein Wimpernschlag“, so Loeffler. Im Labor wandelte die Reaktion immerhin nahezu ein Drittel des Schwefeldioxids um. „Das ist eine unerwartet hohe Ausbeute für diese chemische Reaktion“, so Loeffler. „Wir wären schon mit fünf Prozent zufrieden gewesen.“ Viel wichtiger aber: Die in dieser Reaktion entstehenden positiven und negativen Ionen können leicht mit weiteren Molekülen reagieren und damit weitere Prozesse in Gang setzen.
Kruste aktiver als gedacht?
Um zu testen, ob diese Reaktion auch in Kohlendioxideis und damit unter den auf Europa herrschenden Bedingungen abläuft, ergänzten die Forscher anschließend ihre Reaktionsmixtur um CO2. Auch dieses gefror sofort auf den Spiegeln aus, behinderte aber die laufenden Reaktion nicht, wie zunächst befürchtet. „Wenn das gefrorene Kohlendioxid die Reaktion geblockt hätte, dann wären wir nicht annähernd so interessiert an der ganzen Sache“, erklärt Reggie Hudson, ebenfalls von Goddard Center der NASA. Doch die Reaktion lief ungehindert weiter ab.
Das aber deutet darauf hin, dass das Eis von Europa – und möglicherweise auch von anderen Eismonden wie Ganymed und Kallisto – keineswegs chemisch ruht, sondern durchaus aktiv sein könnte. „Dies ist ein extrem wichtiges Ergebnis um die Chemie und Geologie von Europas eisiger Kruste zu verstehen“, kommentiert Robert E. Johnson von der Universität von Virginia in Charlottesville die Studie. Wenn das Schwefeldioxid unterhalb der Oberfläche reagiere und chemische Abkömmlinge erzeuge, dann ändere sich das Bild vollständig.
Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014