Selbst wenn die Wirkung der Akupunktur umstritten ist oder gar reiner Placebo-Effekt – warum sollte man sie nicht trotzdem nutzen? Schließlich wirkt sie und ist allemal günstiger und schonender als viele konventionelle Therapien auf Basis von Medikamenten. Hat nicht letztlich der Recht, der im Einzelfall hilft?
Chance für Therapie-Resistente
So sehen es auch Befürworter der Akupunktur wie Shu-Ming Wang von der University of California in Irvine. Er räumt zwar ein, dass es bisher tatsächlich nur wenig eindeutige Belege für eine Wirksamkeit der Akupunktur über den Placebo-Effekt hinaus gibt. Gleichzeitig aber sieht er die chinesische Heilkunst trotzdem als wertvolle und nützliche Ergänzung der Schulmedizin.
„Statt diese alte Kunst mit Argumenten aus der modernen Medizin und Wissenschaft zu kritisieren, sollten Ärzte und Forscher versuchen, neues Wissen in diese Praxis zu integrieren“, meint Wang. „Dann kann die Akupunktur eingesetzt werden, um Leiden zu behandeln, bei denen pharmazeutische Therapien ineffektiv sind oder sogar gefährlich.“ Denn inzwischen wisse man, dass es viele Patienten gibt, die auf konventionelle Therapien nicht gut ansprechen oder sie nicht vertragen. Für sie ist die Akupunktur eine Chance, Linderung zu erfahren.
Dies gilt gerade für Menschen mit chronischen Schmerzen. Denn wenn solche Patienten dauerhaft Schmerzmittel schlucken, belastet dies ihre Nieren oder Leber und kann langfristig schwere Schäden verursachen. Die Akupunktur kann – egal ob durch Placebo-Effekt oder nicht – in manchen Fällen die Schmerzen soweit lindern, dass die Patienten weniger oder keine Medikamente brauchen. Das wiederum kommt langfristig ihrer Gesundheit zugute.
Kann Akupunktur schaden?
Hinzu kommt: Im Vergleich zu vielen Medikamenten hat die Akupunktur deutlich weniger Nebenwirkungen. „Betrachtet man, wie viele Arzneimittel wegen schädlicher Nebeneffekte oder sogar Todesfällen im Laufe der Jahre vom Markt genommen werden mussten, dann ist das Risiko bei ihnen erheblich“, konstatiert Wang.
Demgegenüber fanden drei große Studien in Großbritannien und Deutschland bei mehr als 800.000 Akupunktursitzungen nur eine Handvoll schwerer Nebenwirkungen, wenn die Nadeln von gut ausgebildeten Akupunkteuren oder Ärzten gesetzt wurden. Zu den ungewollten Effekten gehörten ein Asthmaanfall, ein Kreislaufkollaps, ein vorübergehender Nevenschaden. Allerdings kam es in zwei Fällen auch zu einem Pneumothorax – einem potenziell lebensbedrohlichen Zustand. Bei diesem perforieren in Brust oder Rücken gesetzte Nadeln die Membranen, die Lunge umhüllen. Dadurch kann Luft in den Brustraum gelangen und zum Kollaps der Lunge führen.
In einer weltweiten Auswertung von Nebenwirkungen bei Akupunkturstudien fanden Edzard Ernst von der University of Exeter und seine Kollegen 2011 rund 40 Fälle von Pneumothorax, vier davon endeten für den Patienten tödlich. Allerdings: Die meisten dieser Fälle kamen aus Asien, wo die Ausbildung der Akupunkteure weniger reglementiert ist und oft auch ungeschulte die Nadeln setzen. Bei uns in Deutschland schätzt die Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur das Risiko für einen Pneumothorax auf eins zu einer Million – und das ohnehin nur bei Nadelungen im Oberkörper.
Falsche Hoffnungen?
Ernst und andere Kritiker der Akupunktur haben aber dennoch ein Problem damit, Akupunktur als vollwertige Behandlung anzuerkennen oder sie sogar von Kassen bezahlen zu lassen. Denn dies verleihe ihr einen Anstrich von Respektabilität und könne sogar Patienten dazu verleiten, wirksamere, konventionelle Behandlungen dafür zu meiden oder hinauszuzögern, meinen sie. Problematisch wird es spätestens dann, wenn Akupunkteure ernsthaft kranken Menschen falsche Hoffnungen machen.
„Patienten können an Therapeuten gelangen, die unverantwortlich handeln“, meint Ernst. „Einige Akupunkteure machen absurde Versprechungen, indem sie behaupten, alles vom Heuschnupfen über Depression bis zu Unfruchtbarkeit und dem plötzlichen Kindstod mit Nadeln kurieren zu können. Doch sie bieten nichts als leere Hoffnungen im Austausch gegen viel Geld.“
Nadja Podbregar
Stand: 04.09.2015