Schon seit ihrem Produktionsbeginn 1966 gilt die riesige Papier- und Zellulosefabrik als einer der Hauptverschmutzer des Baikalsees. Als ein typisches „Kind des kalten Krieges“ wurde sie ursprünglich gebaut, um auch bei einem eventuellen US Embargo die Sowjetunion mit der für Raketen- und Flugzeugbau wichtigen Zellulose zu versorgen. Unter anderem auch deshalb nahmen alle sowjetischen und später russischen Umweltgesetze und Schutzbestimmungen das Werk stets aus.
Und dies, obwohl die Fabrik täglich nicht nur 440 Tonnen Zellulose, sondern auch 210.000 Kubikmeter Abwasser produziert, die praktisch ungeklärt in den Baikalsee geleitet werden. Schon seit Beginn des Betriebs wurde hunderte von Malen eine Überschreitung von Grenzwerten gemessen: Neben Chloriden aus der Chlorbleiche, Phenolen und Sulfaten wurden auch mehrfach erhöhte Konzentrationen an Dioxinen nachgewiesen. Auf dem Werksgelände selbst sollen noch fünf Millionen Tonnen schwermetallhaltiger Klärschlämme lagern. Die inzwischen über dreißig Jahre anhaltenden Schadstoffeinleitungen der Fabrik haben die einzigartige Fauna und Flora des Sees bereits bedenklich dezimiert: Anfang der neunziger Jahre stellten Wissenschaftler fest, dass die Zahl der wirbellosen Tierarten im See von 47 auf nur noch sieben zurückgegangen war, Krebse früher starben und bei Mikroorganismen häufiger Mutationen auftraten.
Einen unrühmlichen Höhepunkt erreichte die Verschmutzung des Sees durch das Werk im Jahr 1987, als die nur im Baikalsee vorkommenden Süßwasserrobben an einer Virusepidemie erkrankten und massenweise zugrunde gingen. In Untersuchungen zeigte sich, dass die betroffenen Tiere in ihren Geweben hohe Konzentrationen der gifitgen Chlorchemikalie PCB angereichert hatten, die ihr Immunsystem schwächten. Quelle des Giftes: das Zellulosekombinat.
Diese ökologische Katastrophe rüttelte die Öffentlichkeit wach. Die in den letzten Jahrzehnten immer lauter werdenden Proteste von Naturschützern und Umweltverbänden in Russland und weltweit wurden nun, so schien es, endlich wenigstens wahrgenommen. Schon in der Planungsphase hatten russische Wissenschaftler auf die möglichen Folgen für das Ökosystem des Sees hingewiesen – ohne Erfolg. In den achtziger Jahren wurde zwar auch in Regierungskreisen mehrfach über eine Produktionsumstellung verhandelt, aber umgesetzt wurden die Beschlüsse nie. Zu groß war die Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Interessen, zu halbherzig die Vorschläge und Beschlüsse. 1987, im Jahr der Robbenepidemie, beschloß das Zentralkomitee, dem Werk nur noch eine Gnadenfrist bis zum Jahr 1993 geben – die Frist verstrich, ohne dass irgendwelche Umstrukturierungen oder gar Beschränkungen veranlaßt wurden.
Als Folge der ökonomischen Prioritäten erhielt das Werk während seiner Betriebszeit nicht nur zahlreiche Sondergenehmigungen, sondern wurde auch von vielen Steuern und Abgaben befreit. 1996 soll das Werk nicht mal ein Zehntel der fälligen Abgaben – umgerechnet 1,3 Milliarden Mark – gezahlt haben.
Inzwischen ist das ehemalige Kombinat privatisiert, die Anteile der 1992 gegründeten Aktiengesellschaft gehören zu 51 Prozent den 3000 Beschäftigten der Fabrik. Doch geändert hat sich deshalb nichts. Auch als „Baikal Pulp & Paper Mill“ (BP&PM) ist das Werk für die Verschmutzung von mehr als 250 Quadratkilometern Seefläche verantwortlich, noch immer fließen die Abwässser fast ungeklärt in den See. Die russische Regierung hatte zeitgleich mit der Privatisierung des Werks eine neue Frist für einen Produktionsstopp beschlossen, Naturschützer hofften erneut auf eine Besserung. Dem Beschluss nach sollte spätestens 1995 Ende der Zellstoffherstellung sein. Aber wie schon vorher zu Kombinatszeiten verstrich die Frist ohne das etwas geschah.
Ein neuer Plan sah 1997 vor, die veraltete Technik der Fabrik auszutauschen und einen geschlossenen Wasserkreislauf einzurichten. Dieses 500 Millionen Mark teure Projekt wurde auf Anregung der Regierung Tschernomyrdin von einer amerikanischen Ökokonsultingfirma entwickelt. Aber auch dieser Vorschlag ist bisher nicht umgesetzt…
Wo Appelle und Beschlüsse nicht helfen, sollen nun Richter entscheiden: Im Dezember 1998 erhoben zwei Umweltbehörden auf regionaler und nationaler Ebene Klage gegen die Zellulosefabrik. Das „Monster vom Baikalsee“, wie die riesige Anlage getauft wurde, würde Umwelt und Bewohner der Region irreparabel schädigen, so die Begründung. „Wir hoffen, dass das Gericht jede weitere chemische Produktion am Ufer des Sees verbietet.“ fasst Juri Udodow, Vorsitzender eine regionalen Umweltkommitees die Hoffnungen der Kläger zusammen. Noch ist allerdings nichts entschieden…
Stand: 07.12.1999