Bis vor kurzem ließen sich Gliazellen ausschließlich in vitro – außerhalb des lebenden Organismus – untersuchen, also anhand von Gehirnschnittpräparaten oder in Zellkulturen. Diese Verfahren haben jedoch einen entscheidenden Haken: Sie stellen stets einen mehr oder minder massiven Eingriff in das natürliche Gefüge des Gehirns dar und erschweren deshalb Rückschlüsse darauf, wie die Zellen sich unter physiologischen Bedingungen verhalten.
„Mit der Zwei-Photonen-Mikroskopie kann man einen direkten Blick ins lebende Gewebe werfen“, erläutert der Wissenschaftler Fritjof Helmchen den entscheidenden Fortschritt. „Die Zellen lassen sich in vivo beobachten, also unter normalen Verhältnissen im intakten Gehirn.“
Klassische Lichtmikroskopietechniken reichen nur etwa 50 Mikrometer (tausendstel Millimeter) tief in biologisches Gewebe und beschränken sich damit auf die oberflächlichen Strukturen des Denkorgans. Anders die Zwei-Photonen-Mikroskopie. Selbst im stark lichtstreuenden Nervengewebe liefert sie aus bis zu einem Millimeter Tiefe hoch auflösende Bilder. „Ein Millimeter erscheint in Relation zum gesamten Gehirn nicht allzu viel“, so Helmchen. „Doch damit befindet man sich bereits im Kortex, der vielleicht interessantesten Schicht des Gehirns.“ Sie gilt als der Sitz höherer Hirnfunktionen und beherbergt neben Neuronen auch alle Typen von Gliazellen.
Eine Zellpopulation – drei Arten
Drei Arten von Gliazellen gibt es: Oligodendrozyten, Astrozyten und Mikroglia. Die Oligodendrozyten formen die Myelinscheiden. Wie die Kunststoffhülle eines Kupferkabels isolieren sie die langen Fortsätze – Axone – der Nervenzellen elektrisch und ermöglichen dadurch eine besonders schnelle neuronale Signalübertragung. Helmchen und seine Kollegen am Heidelberger Max-Planck-Institut nahmen jedoch den zahlenmäßig häufigsten Gliazelltyp unter die Lupe: die Astrozyten.
Dass die Astrozyten lediglich als Nähr- und Stützzellen für die Neuronen dienen, galt lange als ausgemachte Sache. „Jetzt kristallisiert sich aber mehr und mehr heraus, dass sie eine sehr viel größere Bedeutung für die Funktion des Gehirns besitzen als bisher angenommen“, sagt Helmchen. „Zwischen Astrozyten und Neuronen besteht eine enge wechselseitige Beziehung.“ Wie es aussieht, ist der Gliazelltyp möglicherweise sogar an der eigentlichen Informationsverarbeitung beteiligt, die bisher als alleiniges Privileg der Nervenzellen betrachtet wurde.
Stand: 26.07.2007