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Ardi und Lucy gelten als Jahrhundertfunde, sie sind aber längst nicht die einzigen Relikte von Vormenschen, die Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten aufgespürt haben – ausschließlich in Afrika. Im Mittelpunkt standen dabei Lucys unmittelbare Verwandte, die Australopithecinen. So erhielt beispielsweise die Australopithecus afarensis-Forschung durch das „älteste Kind der Welt“ in den Jahren 2000 und 2001 einen wichtigen neuen Impuls.
150.000 Jahre älter als Lucy
Es wurde in der Region Dikika in Äthiopien von Forschern um Zeresenay Alemseged vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und William Kimbel von der Arizona State Universität entdeckt. Das „Mädchen von Dikika“ stammt aus der Zeit vor 3,3 Millionen Jahren und ist damit vermutlich 150.000 Jahre älter als Lucy.
„Ein so komplettes Skelett eines Kinds zu entdecken ist bisher einmalig“, erklärte Kimbel die Besonderheit des Fundes. „Wir können die Milchzähne sehen und die bleibenden Zähne, die noch im Kiefer stecken. Wir haben fast alle Wirbel, Rippen und die Schulterblätter. Und wir haben Ellbogen, Hände, Beinknochen und fast einen kompletten Fuß, bei dem nur die Zehenspitzen fehlen“, ergänzt Alemseged in einem Interview mit dem Deutschlandradio im Jahr 2006 weitere Einzelheiten.
Tod durch Ertrinken
Damals war die Auswertung des Kinderskeletts des Australopithecus afarensis längst in vollem Gange und die Anthropologen konnten bereits erste Ergebnisse präsentieren. Danach ist das „Dikika-Girl“ von der Hüfte abwärts eindeutig an eine zweibeinige Fortbewegung angepasst. Die obere Körperhälfte jedoch, insbesondere das Schulterblatt, ähnelt zum Teil noch der eines Gorillas.
Dies könnte nach Ansicht von Forschern dafür sprechen, dass die Art einen Teil ihrer Zeit noch damit verbrachte, auf Bäume zu klettern. „Ich glaube nicht, dass ein dreijähriges Kind viel Zeit auf Bäumen verbringt, aber die Mischung der Strukturen in diesem Skelett wird die Debatte über die Fortbewegung im frühen Australopithecus wieder anheizen“, meint Kimbel.
Er und seine Kollegen haben auch eine Theorie, wie das Mädchen von Dikika umgekommen sein könnte: Da Spuren einer Raubtierattacke fehlen, gehen die Forscher davon aus, dass das Vormenschenkind von einer plötzlichen Flut überrascht wurde und vermutlich dabei ertrunken ist. Dafür spricht, dass das Skelett bei seiner Entdeckung in einem kompakten Sandsteinblock eingeschlossen war, der mithilfe von Zahnarztinstrumenten Korn für Korn abgetragen werden musste.
Seltener Zungenbein-Fund
„Ein besonders seltener und aufregender Teil des Fundes ist der Zungenbeinknochen des Dikika-Mädchens. In seiner Gestalt ist er dem Zungenbeinknochen der afrikanischen Menschenaffen sehr ähnlich und unterscheidet sich von dem des modernen Menschen“, berichteten die Forscher 2006 weiter. Sie gehen deshalb davon aus, dass sich die Lautäußerungen des „Kindes von Lucy“ vor 3,3 Millionen Jahren nicht sehr von denen heutiger Affen unterschieden.
Stand: 22.01.2010