Doch trotz aller Hürden bei der Gewinnung und Kultivierung der begehrten pluripotenten Stammzellen – immer häufiger melden Forscher inzwischen Erfolge bei der Anwendung dieser medizinischen Helfer.
Kontrahierendes Herzgewebe
Im Herbst 2012 verhalfen induzierte Stammzellen Forschern der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zu einem wichtigen Durchbruch: Es gelang ihnen erstmals, aus diesen menschliches Herzmuskelgewebe zu züchten, das sich genauso stark zusammenziehen kann wie natürliches Gewebe. Damit habe man eine der großen Herausforderungen der Gewebezucht gemeistert, konstatierten die Forscher: Aus einzelnen Zellen eine sich synchron zusammenziehende Muskelfaser zu bilden, deren Kraft natürlichem Gewebe entspricht. Erreicht haben sie dies mit aus der Haut gewonnenen Fibroblasten, die in Stammzellen umgewandelt und dann in einem speziellen Bioreaktor dazu gebracht wurden, einen Verband aus Herzmuskelzellen zu bilden.
„Im Gegensatz zu bisherigen Therapieansätzen könnte es mit diesem künstlichen Gewebe möglich sein, vernarbte Strukturen zu ersetzen, wie sie beispielsweise bei einem Herzinfarkt entstehen, oder angeborene Missbildungen des Herzens bei Kleinkindern zu rekonstruieren“, sagt Axel Haverich, Leiter der Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie an der MHH. Bis zu einer klinischen Anwendung sei es aber noch ein langer Weg: Um größere Gewebe zu erzeugen, müssten diese auch mit Blutgefäßen durchzogen sein. Auch die Herstellung der iPS-Zellen und die Sortierung der Herzzellen müsste noch weiter verbessert werden.
Neuer Knorpel aus Stammzellen
Ebenfalls im Herbst 2012 berichteten Forscher der Duke University, dass sie erfolgreich Knorpel aus induzierten Stammzellen produziert hatten. Knorpel ist der Schockabsorber in den Gelenken, der beim Gehen, Treppensteigen und anderen Bewegungen Stöße und abpuffert und die Knochenenden durch einen glatten Überzug leicht gegeneinander gleiten lässt. Doch bei vielen älteren Menschen ist dieser Gelenkknorpel durch Verschleiss abgenutzt, dadurch reiben die sensiblen und rauen Knochen direkt aneinander – das verursacht große Schmerzen bei jeder Bewegung.
Das Problem dabei: Knorpel ist ein Gewebe, das sich nur sehr schlecht regeneriert, eine Reparatur ist meist kaum möglich. Brian Diekman und seine Kollegen haben daher nach einer Methode gesucht, um neue knorpelbildenden Zellen für Patienten herstellen zu können – und versuchten es mit induzierten Stammzellen. In einem Vorversuch mit Mäusen entnahmen sie diesen ausgewachsene Fibroblasten aus der Haut und wandelten diese durch Reprogrammierung in induzierte Stammzellen um. Dann tüftelten sie eine Methode aus, um diese pluripotenten Zellen dazu zu bringen, möglichst ausschließlich die gewünschten Chondrozyten, die knorpelproduzierenden Zellen, zu produzieren.
„Das war ein mehrschrittiger Ansatz, aus der anfänglichen Differenzierung der Stammzellen, dem Sortieren des richtigen Zelltyps und dann der Züchtung des Knorpelgewebes“, erklärt Diekman. „Das Ergebnis zeigt, dass induzierte Stammzellen dazu eingesetzt werden können, qualitativ hochwertigen Knorpel zu erzeugen, entweder als Ersatzgewebe oder auch für Forschungszwecke, um beispielsweise Knorpelkrankheiten besser untersuchen zu können.“ Der große Vorteil, den Knorpel über induzierte Stammzellen zu produzieren bestehe zudem darin, diesen aus patienteneigenen Zellen schaffen zu können – und damit maßgeschneidert für die jeweilige Person.
Gentherapie bei Chorea Huntington
Schon im Sommer 2012 erzielten US-Forscher einen Durchbruch bei der tödlichen Erbkrankheit Chorea Huntington – ebenfalls mit Hilfe von induzierten Stammzellen. Die Krankheit wird durch überzählige Kopien in einem Teil des Huntingtin-Gens in den Zellen ausgelöst. Dadurch entsteht ein fehlerhaftes Eiweiß, das fortschreitend Zellen im sogenannten Striatum zerstört, einem für Muskelsteuerung und grundlegende mentale Funktionen wichtigen Gehirnbereich. Als Folge verlieren die Betroffenen ab etwa dem 35. bis 40. Lebensjahr zunehmend die Kontrolle über ihre Muskeln und leiden unter psychischen Ausfallerscheinungen. Nach längstens 20 Jahren führt die Krankheit zum Tod der Patienten.
Für ihre Studie entnahmen Lisa Ellerby vom Buck Institute for Research on Aging im kalifornischen Novato einem Huntington-Patienten Haut-Fibroblasten und wandelten diese in induzierte Stammzellen um. Wie erwartet erhielt auch in diesen Zellen das Huntingtin-Gen mehr als 36 überschüssige Kopien. Aus einem Bakteriengenom erzeugten die Forscher dann eine gesunde Variante des Huntingtin-Gens mit nur 21 Kopien. Dieses schleusten sie in die in Zellkultur gehaltenen Stammzellen des Patienten ein. In immerhin zwei von 203 Ansätzen bauten die Stammzellen das neue Gen tatsächlich ein.
Im entscheidenden Test injizierten die Wissenschaftler die reparierten Zellen in die Gehirne von sechs Wochen alten Mäusen, die an Huntington litten. Zwei Woche danach habe man große Mengen von Abkömmlingen dieser menschlichen Stammzellen im Striatum der Tiere gefunden, schreiben die Forscher. Das zeige, dass sich die genetisch korrigierten Zellen im Gehirn von Huntington-Mäusen vermehren und zu gesunden Gehirnzellen weiterentwickeln können. Ob eine solche Stammzelltherapie die Huntington-Krankheit tatsächlich aufhalten oder sogar bereits bestehende Symptome rückgängig machen kann, muss nun in weiteren Tierversuchen erforscht werden.
Nadja Podbregar
Stand: 13.09.2013