Verschiedenen Substanzen zu vermischen, um Geheimtinte herzustellen oder künstlichen Nebel zu erzeugen – darin liegt der Reiz der Chemie für viele Schüler, die mit einem Experimentierkasten hantieren. Die Experimente von Dr. Bert Voigtländer erscheinen dagegen auf den ersten Blick eher langweilig: Der Physiker vom Institut für Grenzflächenforschung und Vakuumphysik (IGV) bringt zum Beispiel Silizium langsam auf einen Kristall auf, der ebenfalls aus Silizium besteht. Mit bloßem Auge betrachtet passiert dabei überhaupt nichts.
Im Blick eines speziellen Rrastertunnelmikroskops jedoch wird eine Welt sichtbar, in der Vorgänge ablaufen, die weit faszinierender und überraschender sind, als die im Reagenzglas eines Schülers. Magische Zahlen Voigtländer lässt Siliziumkristalle mithilfe der sogenannten Molekularstrahlepitaxie wachsen: Dabei beschießt er die Oberfläche des Kristalls mit einem Strahl von Siliziumatomen. Am Anfang des Experiments reicht die Zahl der Atome nicht aus, um die Oberfläche vollständig zu bedecken.
Doch die Atome verteilen sich nicht zufällig auf dem Kristall. Sie ordnen sich in Form dreieckiger Inseln an. Die kleinsten von ihnen, sogenannte Elementarinseln, bestehen dabei lediglich aus 51 Atomen. „Misst man die Ausdehnung der größeren Inseln, stellt man fest, dass sie besonders häufig genau aus 4 (22), 9 (32), 16 (42) …. dieser kleinen Elementarinseln zusammengesetzt sind“, sagt Voigtländer. Woher kommt dieses Vorliebe für Quadratzahlen? Magie?
Mit einem Rastertunnelmikroskop, das am IGV eigens konstruiert wurde, um diese Wachstumsprozesse ohne Unterbrechung beobachten zu können, kam der Physiker dem Zahlenrätsel auf die Spur. Bisher mussten die Wissenschaftler das Kristallwachstum für die Aufnahme eines rastertunnelmikrosakopischen Bildes unterbrechen: Der Strahl aus Atomen wird abgestellt, der Kristall aus der Wachstumskammer genommen und zum Mikroskop gebracht. Mit dem Gerät im IGV können dagegen Silizium und andere Materialien mit Atomen bedampft und gleichzeitig mit dem Mikroskop untersucht werden.
Dabei entdeckten die Forscher, dass das Inselwachstum schubweise verläuft: Während des Beschusses behält eine perfekt dreieckige Insel mehrerer Minuten lang ihre Form. Doch bald Atome es einmal geschafft haben, sich an einer Inselseite festzuhalten, lagert sich sehr schnell eine komplette Reihe von neuen Elementarinseln an. Wenn die Reihe vollständig ist, dann ist das gesamte Gebilde wieder ein Dreieck, das wiederum für längere Zeit unverändert bleibt. „perfekt dreieckige Inseln sind besonders stabil“, fasst Voigtländer die Beobachtungen zusammen. So erklären sich die magischen Größen: Eine exakte Dreiecksform erreichen die Inseln nur, wenn sie genau aus 22, 32, 42 usw. Elementardreiecken aufgebaut sind.
Stand: 04.02.2001