Inzwischen haben die Muntjaks nicht nur Großbritannien für sich erobert, sie breiten sich auch auf dem europäischen Kontinent aus. In Frankreich gibt es bisher zwar nur in der Bretagne eine sehr kleine Population von Muntiacus reevesi und über deren Verbleib und Größe fehlen gesicherten Angaben.
Doch in den Niederlanden gab es bereits Ende der 1990er Jahre erste Sichtungen in freier Wildbahn, zunächst in der Veluwe, Hollands größtem Waldgebiet, und im Raum Achterhoek, beides Gegenden in der Provinz Gelderland im zentralen Osten des Landes. Von dort ging es südwärts. In der Provinz Nordbrabant an der Grenze zu Belgien hat sich inzwischen eine Population von etwa 50 bis 100 Tieren etabliert und entfaltet weiteren Ausbreitungsdrang.
In Belgien schon etabliert
Vinciane Schockert von der der Forschungsstelle für Tiergeographie der Universität Lüttich und ihre Kolleginnen haben 2013 eine alarmierende Studie zur Ausbreitung der Muntjaks vorgelegt. „Die Möglichkeit, dass von der kleinen isolierten Population in den Niederlanden eine künftige Expansion ausgeht, gibt Grund zu der Sorge, dass weite Teile Kontinentaleuropas kolonisiert werden“, berichten die Forscherinnen.
Mit allen damit verbundenen negativen Folgen. So werden aus Belgien bereits erste Verkehrsunfälle mit Muntjaks gemeldet. Die Tiere sind aus den Niederlanden eingewandert oder aus belgischen Tierparks durch undichte Zäune ausgebüxt. Die belgischen Forscherinnen machen auch Jäger verantwortlich, Muntjaks freizulassen – für anschließende Trophäenjagden.
Sie halten eine natürliche Ausdehnung der holländischen Population nach Belgien für unausweichlich. In den Wäldern der belgischen Provinzen Antwerpen und Limburg werden die Zwerghirsche bereits regelmäßig gesichtet. „Sie tolerieren Störungen durch den Menschen, passen sich an Verkehr und Leute an“, berichten die Forscher. Sie bezeichnen alle Regionen Belgiens außer den Ardennen als „optimal“, um von Muntjaks besiedelt zu werden.
Als nächstes am Niederrhein und im Münsterland
Auf lange Sicht könnten Tiere aus Holland oder Belgien auch nach Deutschland einwandern und in grenznahen Regionen wie dem Niederrhein oder dem Münsterland auftauchen. Für wahrscheinlicher hält Schockert es aber, dass Chinesische Muntjaks sich in Deutschland erfolgreich ansiedeln, sobald eine kleine Zahl von Tieren aus Parks oder Privathaltungen entkommt oder absichtlich freigelassen wird. Gleiches gilt für Tieflagen in der Schweiz und Österreich mit milderen Wintern.
Entscheidend sei das Klima. Die Zwerghirsche sind von Natur aus trockene Winter gewohnt. Schockert berichtet auf Nachfrage, in Südengland habe es während besonders harter Winter unter den dortigen Populationen eine hohe Sterblichkeit gegeben. Wie sich der Klimawandel auf die Überlebenschancen der Art in Europa auswirkt, sei offen. „Wenn uns das regnerische Sommer und Winter bringt, wird dies für das Muntjak sicher nicht optimal sein“, sagt die 41jährige Zoologin. Trockenere Sommer und mildere Winter aber kämen den Zwerghirschen zupass.
„Ausrotten geht nicht mehr“
Die Forscherinnen geben in ihrer Studie zu bedenken: „Es gibt bislang kein Beispiel einer erfolgreichen lokalen Muntjak-Ausrottung.“ Jeder Versuch sei ressourcenintensiv. Effektiv seien nur Drückjagden, bei denen viele Jäger zu Fuß im Einsatz sind. Fallenjagden seien tabu, weil denen auch andere Tiere zum Opfer fallen.
Die Forscherinnen raten deshalb, Muntjaks in Zoos, Tierparks und Privathaltungen zu sterilisieren und zu registrieren, damit sich das britische Szenario nicht auf dem europäischen Kontinent wiederholt. Noch könnte das gegen die anpassungsfähigen Invasoren helfen.
Kai Althoetmar
Stand: 08.07.2016