Um diese Regeln zu verstehen, müssen biologische Systeme in ihrer Ganzheit untersucht werden, von den einzelnen Komponenten bis hin zu kompletten Netzwerken. Dieser Ansatz, auch Systembiologie genannt, ist nicht einfach und bei weitem nicht so fortgeschritten, wie die Studien zu einzelnen Genen und Proteinen. Das beruht zum Teil auf einem Mangel an Informationen über die einzelnen Komponenten und ihre Vernetzung. Die Systemanalyse wurde jedoch auch von einer reduktionistischen Einstellung gebremst, die von frühen genetischen und biochemischen Studien herrührt und sich in dem Satz „ein Gen (oder ein Protein) – eine Funktion“ ausdrückt.
Protein-Funktionsgefüge komplexer als gedacht
In ersten genetischen Untersuchungen hatte man in der Tat festgestellt, dass durch das Inaktivieren eines Gens eine Zellfunktion komplett ausgeschaltet werden kann. Das trifft für einige menschliche Krankheiten zu; auch biochemisch kann man in vielen Fällen eine enzymatische Funktion eindeutig einem einzelnen Protein zuordnen. In den letzten Jahren ist es aber klar geworden, dass der Großteil der biologischen Funktionen in einer Zelle nicht von einzelnen Proteinen, sondern von großen Multiprotein-Komplexen und Netzwerken ausgeführt wird.
Aus dieser Perspektive betrachtet, ist die Suche nach einem Gen, das für ein komplexes Phänomen wie Intelligenz oder Sprache kodieren soll, irreführend. Und obwohl sich sicher viele Gene finden lassen, die Intelligenz oder Sprache beeinflussen, werden wir nie komplexe Funktionen oder Krankheiten verstehen können, wenn wir nicht versuchen, biologische Systeme als Ganzes zu beschreiben.
Hilfe durch Computertechnik
Die Lösung der Probleme, vor denen die Systembiologie steht, wird nicht nur Biologen, sondern auch Physiker und Mathematiker noch viele Jahrzehnte beschäftigen. Die meisten biologischen Netzwerke bestehen aus Dutzenden, manchmal aus Hunderten von Proteinen, und bei ihrer Analyse stößt die menschliche Vorstellungskraft schnell an ihre Grenzen.
Hinzu kommen quantitative Werte, die bei komplexen Netzwerken eine große Rolle spielen: Selbst wenn jedes einzelne Protein in einem Netzwerk nur in einem aktiven oder inaktiven Zustand existierte, wächst die Zahl der möglichen Zustände im Netzwerk exponentiell mit der Anzahl der Komponenten, sodass der eigentliche Zustand in der Zelle von einer feinen Balance aller Proteinaktivitäten des Netzwerks bestimmt wird.
Aus diesem Grund muss die moderne Biologie immer öfter bei der mathematischen Beschreibung der Netzwerke und bei Computersimulationen Hilfe suchen, um die Vielfalt experimenteller Daten in ein System einzubringen und das Verhalten der Netzwerke in der Zelle vorherzusagen. Die mathematische Modellierung stellt ihrerseits hohe Ansprüche an biologische Experimente und erfordert viele quantitative Daten, die derzeit nur für sehr wenige biologische Netzwerke vorhanden sind.
Stand: 15.02.2008