Viele Grüne an der Basis sind stinksauer. Und enttäuscht. „Garzweiler II wird nicht kommen. Dafür kämpfen wir.“, so oder ähnlich lauteten ihre Wahlkampfparolen zwischen 1995 und 2000. Herzblut, Schweiß und Tränen haben sie investiert, Plakate gemalt und Demos organisiert. Das größte Tagebauprojekt in Europa galt es zu verhindern. Landschaftsvernichtung, Zwangsumsiedlung, Grundwasserabsenkung oder Klimakiller waren ihre Schlagworte. Doch inzwischen erinnern sich die Grünen gar nicht mehr gerne an ihr ehemaliges Thema Nummer eins in Nordrhein-Westfalen.
„Koalitionsräson“ heißt es hierzu im Nachhinein. Denn Garzweiler II ist inzwischen beschlossene Sache. Ab 2006 darf RWE Rheinbraun seine bestehende Tagebaugrube Garzweiler I um fast fünfzig Quadratkilometer erweitern. Siebzehn Jahre lang gab es Streit zwischen Anwohnern, Energiekonzern, Landesregierung und Naturschützern. Das größte Tagebauprojekt Europas hing immer wieder wie ein Damoklesschwert über dem rot-grünen Regierungsbündnis in Düsseldorf. Im Jahr 2001 war es dann soweit: Der damalige Ministerpräsident Wolfgang Clement entzog der Umweltministerin Bärbel Höhn ihre Kompetenzen in Sachen Braunkohle und erklärte den Tagebau zur Chefsache. „Die Grundversorgung mit heimischen Energieträgern müsse gewährleistet sein“, hieß es damals aus SPD-Kreisen. „Die Abhängigkeit von Öl- und Erdgasimporten müsse überschaubar bleiben. Gerade in Zeiten wachsender Terrorgefahr.“ Und die Grünen gaben klein bei.
Doch bei den Naturschutzverbänden glaubt kaum noch einer an die hehren Beweggründe der Politik. Denn die wirtschaftlichen Dimensionen des Tagebaus sprechen für sich: In Deutschland lagern über 40 Milliarden Tonnen förderbare Braunkohle. Dies entspricht mehr als zehn Prozent der weltweit gewinnbaren Braunkohlenreserven. Über 20.000 Beschäftigte sind bei den Energiekonzernen im Bereich Braunkohle angestellt und fast 30 Prozent des deutschen Stroms kommt aus diesem fossilen Energieträger. Und für RWE Rheinbraun, Global Player des Energiemarkts, scheint sich die Förderung der Kohle trotz des enormen Aufwandes immer noch zu lohnen.
Und der Abbau der Braunkohle hat in Deutschland eine lange Tradition. Seit über einhundert Jahren wird im Rheinland, der Lausitz und in Mitteldeutschland die Landschaft zerpflügt. Denn im Gegensatz zum Stollenbergbau, wie man ihn von den Steinkohlenzechen im Ruhrgebiet kennt, wird die Braunkohle im Tagebau, also in einer offenen Grube gefördert. Bis Ende 2002 wurden so fast 1.700 Quadratkilometer aufgegraben und wieder zugeschüttet. Dies entspricht der doppelten Fläche des Bundeslandes Berlin. Hinzu kommt die Zwangsumsiedlung der in den betroffenen Gebieten lebenden Bevölkerung. Nach Maßgabe des Energiewirtschaftsgesetzes sind solche Enteignungen auch heute noch zulässig, „soweit sie für Vorhaben zum Wohle der Allgemeinheit“ erforderlich sind. Alleine im Rheinland mussten so seit 1948 mehr als 30.000 Menschen den vorrückenden Braunkohlenbaggern weichen.
Stand: 28.01.2004