Phänomene

Seit Jahrmillionen verborgen

Das "lebende Fossil"

In 200 Meter Tiefe bewegt sich ein friedfertiger Fisch langsam, gleichsam schwebend durch das Wasser. Der Rhythmus, in dem die gestielten Flossen schlagen ist sehr koordiniert, und nicht, wie man vielleicht auf den ersten Blick meinen könnte ziemlich regellos. Nach einer Weile erkennt man: würde sich das Tier an Land fortbewegen, würde es traben.

Quastenflosser © Canadian Museum of Nature

Einen Fisch, auf den diese Beschreibung passt, haben noch nicht viele Menschen zu Gesicht bekommen. Bis zum Jahr 1938 hielt die wissenschaftliche Welt es auch für ausgeschlossen, dass dies jemals der Fall sein würde. Quastenflosser galten seit ungefähr 65 Millionen Jahren als ausgestorben. Im Devon, vor 350 Millionen Jahren hatten sie die Erde betreten, und ihre paläontologischen Spuren verschwanden mit denen der Dinosaurier. Auch wenn der Fisch nicht das "missing link" zwischen den ersten Landbewohnern und ihren wasserbewohnenden Vorfahren war, sondern "nur" der nächste heute noch lebende Verwandte – die Sensation war perfekt.

Der Fang des ersten Quastenflossers (Latimeria chalumnae), der die Wissenschaft in Aufruhr versetzte, wurde auf der Komoreninsel Grande Comore wesentlich gelassener betrachtet. Den Eingeborenen war der Fisch nicht unbekannt, sie fingen gelegentlich den einen oder anderen als Beifang mit ihren einfachen Tiefseeangeln. Als Speisefisch schätzten sie ihn nicht allzu sehr, die Schuppen allerdings ließen sich wie Sandpapier zum Schmirgeln verwenden.

Nachtaktive Räuber der Tiefe

Eine beeindruckende Größe haben diese "lebenden Fossile" schon aufzuweisen – es wurden Exemplare mit einer Länge von 1,80 Meter und einem geschätzten Gewicht von 80 Kilogramm beobachtet. Sie waren wohl die ersten Lebewesen in der Erdgeschichte, die lebend gebären. Jungfische von 40 Zentimetern Länge wurden bei einem gefangenen Muttertier gefunden.

Im Inneren amorph: Glas © MMCD

Quastenflosser sind Raubfische, die tags in ihren Höhlen bleiben und nachts einzeln auf Jagd gehen. Es wird vermutet, dass sie mithilfe ihres "Rostralorgans" die schwachen elektrischen Felder ihrer Beutetiere orten können. Auf der Jagd driften sie mit der Wasserströmung und unter geringstem Energieeinsatz nahezu geräuschlos durch ihren Lebensraum.

Überdauern durch Energiesparen

Wie konnte ein so friedfertiges und langsames Wesen, dass in Konkurrenz mit wesentlich leistungsfähigeren Räubern steht, viele Jahrmillionen seine Art erhalten? Vielleicht dadurch, dass es dieser Konkurrenz gerade aus dem Wege geht. Sein nahrungsarmer Lebensraum ist für leistungsfähigere Jäger wenig attraktiv, da sie hier ihren Energiebedarf nicht decken können. Aber auch der Quastenflosser ist gezwungen, Energie zu sparen. In seinen Ruhephasen steigt er in kaltes Tiefenwasser ab und kühlt dabei wahrscheinlich seine Körpertemperatur um fünf bis sechs Grad herunter. Dadurch wird der Stoffwechsel verlangsamt und weniger Nahrung benötigt.

Erdgeschichtlich kaum entdeckt, sind die Tiere, die Jahrmillionen überdauert haben, vielleicht gerade deswegen in ihrem Bestand bedroht. Japaner fahnden in den Fischen nach einer Langlebigkeits-Substanz, angeblich in der Flüssigkeit der elastischen Wirbelsäule. Eine Ausbeutung dieser ohnehin schon geringen Population wäre verheerend – die Anzahl der verbliebenen Fische wird vor den Komoren auf wenige Hundert Exemplare geschätzt. Ihr Lebensraum, die steil abfallenden Lavawände vor der Inselküste ist schwer zugänglich und begrenzt. Die Höhlen dieser Wände dienen den nachtaktiven Tieren tagsüber als Versteck. Maximal 500 Tiere würden hier Unterschlupf finden, so schätzt Professor Hans Fricke vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen, der die Quastenflosser 1987 als erster in ihrem natürlichen Umgebung beobachtet hat.

Die Geschichte geht weiter…

Die Geschichte des Quastenflossers ist allerdings noch nicht zu Ende. War schon der Nachweis dieses lebenden Fossils eine Sensation, so gelang 1998 eine weitere. Eine zweite Quastenflosser-Art wurde entdeckt. 9.000 Kilometer von den Komoren entfernt, vor der indonesischen Insel Manadotua fingen Fischer ein 1,24 Meter langes und 29 Kilogramm schweres Exemplar. Morphologie und genetischer Fingerabdruck dieses Tieres unterschieden sich eindeutig von denen der Komoren-Population, wie sich nach ausführlichen Untersuchungen indonesischer und französischer Forscher herausstellte.

Es bestand kein Zweifel mehr an dem Nachweis einer neuen Art. Latimeria menadoensis, wie die Neuentdeckung getauft wurde, hat sich nach den Forschungsergebnissen vor rund 1,5 Millionen Jahren von seiner verwandetn Art auf den Komoren getrennt – ein Katzensprung in der Evolution des Quastenflossers, der schließlich schon 350 Millionen Jahre auf der Erde weilt.

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Stand: 15.09.2006

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