Die Entdeckung von Tell Brak verändert auch den gesamten Blick auf das alte Zweistromland. Denn bisher galt der Norden Mesopotamiens im Vergleich zum Süden eher als rückständig. Doch wie Jason Ur Ur und sein Kollege Bjoern Menze von der Harvard University in Cambridge 2012 entdeckten, war Tell Brak in der frühen Bronzezeit keineswegs die einzige Stadt oder Siedlung im Norden des heutigen Syrien – ganz im Gegenteil.
Ur und Menze werteten für ihre Studie die über Jahrzehnte streng geheimen Aufnahmen der CORONA-Spionagesatelliten aus. „Sie liefern spektakuläre Ansichten der Landschaften im nördlichen Mesopotamien aus den 1960er- und 70er- Jahren, bevor moderne Siedlungen und die sich ausbreitende Landwirtschaft viele Tells überdeckten“, so die Archäologen. Ergänzt durch Aufnahmen im nahen Infrarot zeigen sich überall dort kleine Unterschiede in der Vegetation und Bodenbeschaffenheit, wo einst eine Siedlung lag.
„Ein Teppich menschlicher Präsenz“
Insgesamt 1.680 archäologische relevante Stätten haben Ur und Menze auf diese Weise aufgedeckt – und nur zehn Prozent von ihnen waren zuvor schon bekannt. „Mithilfe dieser Technologie erhalten wir eine enorme Karte, die die atemberaubende Menge menschlicher Besiedelung in den letzten 7.000 bis 8.000 Jahren zeigt“, sagt Ur.
Die Kartierung enthüllt einen wahren Teppich menschlicher Präsenz schon vor tausenden von Jahren. Neben dem großen Stadtgebiet von Tell Brak und nordöstlich liegenden Tell Hamoukar aus etwa der gleichen Zeit, gab es noch unzählige weitere, durch Wege miteinander verbundene Siedlungen. Allein im Einzugsgebiet des syrischen Euphrat-Nebenflusses Chabur existierten demnach von der prähistorischen Zeit bis zum Beginn der Moderne zwischen zehn und 40 Millionen Haushalte.
Wegenetz mit „Autobahnen“
Und auch die Infrastruktur dieses frühgeschichtlichen Ballungsraumes deckten die Satellitenbilder auf: Auf ihnen sind die Spuren alter Hohlwege zu erkennen, die Jahrtausende lang die wichtigsten Verbindungen zwischen den Orten bildeten. Hier stießen die Forscher auf verblüffende Parallelen zu unserer heutigen Zivilisation: Je größer ein Ort war, desto dichter war auch das Wegenetz in seiner Umgebung.
Und wie bei uns heute waren wichtige Zentren durch größere, quasi vielspurige Verbindungen besonders gut miteinander verknüpft – es entstand eine Art „Autobahnen“ der Bronzezeit. „Große Zentren dominierten sowohl den lokalen wie auch den großräumigen Austausch im regionalen Netzwerk“, erklären Ur und Menze. Das Transportnetz war offenbar damals schon weitaus komplexer als eines, das durch bloße Verbindung der jeweils nächsten Siedlungsnachbarn gebildet wird.
Tell Brak war demnach nicht nur eine der ältesten Städte der Welt. Auch die Menschen in der gesamten Region waren schon viel fortschrittlicher und weiter entwickelt, als man lange dachte.
Nadja Podbregar
Stand: 01.07.2015