Schon seit geraumer Zeit machen sich Wissenschaftler im Gehirn auf die Suche nach den „Spuren des Bösen“. So etwa bei Psychopathen, gelten sie doch als Prototyp des kaltblütigen Killers: Sie sollen berechnend sein, manipulieren geschickt und kennen weder Furcht noch Mitleid. Und das meinen Forscher auch im Oberstübchen zu erkennen. Kent Kiehl von der University of Mexico untersucht beispielsweise schon seit Jahren die Gehirne solcher Straftäter. Dabei hat er tatsächlich einen Unterschied zu normalen Gehirnen festgestellt: Das sogenannte paralimbische System der Psychopathen ist defekt. Dieses hufeisenförmige Gebilde tief im Gehirn, das neben dem Mandelkern (Amygdala) auch die Insula und den cingulären und orbitofrontalen Cortex umfasst, ist bei solchen Menschen auffallend inaktiv. Mitgefühl und Angst, die unter anderem in diesen Hirnzentren zuhause sind, suche man man daher vergebens, so die Folgerung des Forschers.
Verkalkter Mandelkern macht gefühlskalt
Ein anderes Störungsbild, ein anderer Defekt. Das Urbach-Wiethe-Syndrom, eine seltene Erbkrankheit, geht unter anderem mit einer Verkalkung des Mandelkerns einher. Die Betroffenen gelten als „gefühlskalt“, sie können Emotionen nur schwer erkennen und verarbeiten. So kennt beispielsweise eine amerikanische Betroffene mit den Initialen SM keine Furcht und vermag diese auch bei ihrem Gegenüber nicht zu identifizieren. Andere Fallberichte erwähnen Persönlichkeitsveränderungen und beschreiben Betroffene als impulsiv und enthemmt und mit eingeschränktem Urteilsvermögen.
Der Psychologe Hans Markowitsch von der Universität Bielefeld untersuchte im Jahr 2003 zehn Probanden mit dieser Störung. Er stellte fest: Sie waren nicht in der Lage, Emotionen aus Gesichtern zu lesen. Konfrontierte man sie beispielsweise mit einer weinenden Frau im gelb-schwarz geringelten Kleid, so vermochten sie sich später zwar an das auffällige Muster der Bekleidung erinnern, nicht aber daran, ob die Frau fröhlich oder traurig war.
Kaputtes Frontalhirn macht asozial
Und noch eine Spur im Denkorgan: Schäden im Frontalhirn. Bei einer bestimmten Form der Demzen, der sogenannten frontotemporalen Demenz, werden Zellen von Stirnhirn und Schläfenlappen schleichend zerstört. Die Folge: Normale Bürger wandeln sich durch diese Krankheit zu antisozialen Störenfrieden. Die Betroffenen neigen urplötzlich zu Exhibitionismus, beginnen zu klauen oder werden gewalttätig.
Aber auch Verletzungen – insbesondere im präfrontalen Cortex – können ebenfalls Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen. Sie lösen beispielweise emotionale Verflachung, Triebenthemmung oder Pseudopsychopathie aus, die Missachtung sozialer Normen. Wie krass dieser Wandel sein kann, zeigt der berühmte historische Fall von Phineas Gage. Einst Vorarbeiter einer amerikanischen Eisenbahngesellschaft, gelangte Gage zu unfreiwilliger Berühmtheit: Bei einem Sprengunfall am 13. September 1848 jagte ihm eine Eisenstange durch den Kopf. Sie zerstörte sein linkes Auge und durchbohrte den Frontallappen.
Gage überlebte und war – bis auf den Verlust seines linken Auges – nach wenigen Wochen körperlich wiederhergestellt. Auch seine intellektuellen Fähigkeiten, einschließlich Wahrnehmung, Gedächtnis, Intelligenz und Sprachfähigkeit, hatten keinen Schaden genommen. Allerdings veränderte sich seine Persönlichkeit: Der freundliche, besonnene und ausgeglichene Mann wurde später als kindisch, impulsiv und unzuverlässig beschrieben.
Ähnliche Veränderungen zeigte auch ein vierzigjähriger Familienvater, den die US-Neurologen Jeffrey Burns und Russel Swedlow, heute beide an der University of Kansas, im Jahr 2003 beschrieben. Der Mann wurde verurteilt, weil er sich plötzlich seinen eigenen Kindern gegenüber pädophil verhielt. Später entdeckten Ärzte einen großen Tumor in seinem rechten Stirnhirn. Nach der OP verschwand seine pädophile Neigung.
Stefanie Reinberger / dasgehirn.info – ein Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e. V. in Zusammenar
Stand: 08.06.2012