Anthropogeographie

Verdrängt und ausgerottet

Wie sterben Sprachen?

Vom „Sterben“ bedroht sind insbesondere Sprachen mit niedrigem Prestige. Die US-Sprachwissenschaftlerin Nancy Dorian schreibt etwa zur Verdrängung des Gälischen durch das Englische: Als sich Englisch von der Spitze der sozialen Hierarchie her hineindrängte und sich steig nach unten hin ausbreitete, zog sich das Gälische an die Basis der sozialen Hierarchie zurück und wurde allmählich zum Merkmal der Armen.“ Bei den schriftlosen semitischen Sprachen der arabischen Halbinsel, wie Śheri und Mehri, verhält es sich ganz ähnlich.

Das Sumerische koexistierte in Mesopotamien zunächst mit dem Akkadischen, wurde dann aber ganz verdrängt. © historisch

Koexistenz und Verdrängung

Doch auch weitverbreitete und prestigereiche Sprachen können unter den Druck noch stärkerer Konkurrenz geraten: Das Aramäische verdrängte im ersten Jahrtausend vor Christus alle anderen Sprachen im Nahen Osten – Hebräisch, Phönizisch, Assyrisch, Babylonisch und Hethitisch –, um dann selbst mit der Ausbreitung des Islams dem Arabischen zu weichen.

Mitunter existieren während eines solchen Verdrängungsprozesses zwei Sprachen sehr lange friedlich nebeneinander. In Mesopotamien trat offenbar um 2800 vor Christus das Akkadische neben das dominierende Sumerische, das etwa 800 Jahre später aus dem Alltagsgebrauch verschwand und nur noch in der Schrift als Kult-, Literatur- und Gelehrtensprache weiterlebte. Der früheste dokumentierte Sprachtod scheint somit ein sanfter gewesen zu sein.

Gleiches gilt für das Lateinische auf dem Balkan: Die seit dem Frühmittelalter voranschreitende Slawisierung der romanischen Gebiete nördlich von Griechenland und Albanien verlief überwiegend friedlich. Südlich und westlich der Donau gibt es noch heute Reste mit dem Rumänischen verwandter Mundarten; der dalmatische Zweig des Balkanromanischen überlebte immerhin bis 1898.

Krieg und Vertreibung

Externe Faktoren wie Krieg und Vertreibung können den Untergang einer gefährdeten Sprache dramatisch beschleunigen, indem Sprecher getötet oder in die Diaspora getrieben werden, wo ihre kleinen Sprachgemeinschaften zerfallen. Ein regelrechter Genozid hat 1915 in der Osttürkei zum Untergang zahlreicher aramäischer Dialekte geführt. Im Dorf Mlahsô aber gab es einige Überlebende, sodass zumindest der dortige Dialekt von dem deutschen Semitisten Otto Jastrow noch beschrieben werden konnte, bevor der letzte Sprecher im Jahre 1999 starb.

Einen langsamen Tod erleiden auch die jüdisch-aramäischen Dialekte des Irak, nachdem alle Juden im Jahre 1951 das Land verlassen mussten. Heute gibt es keine jungen Sprecher dieser Dialekte mehr in Israel.

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Werner Arnold und Gerrit Kloss, Universität Heidelberg / Ruperto Carola
Stand: 10.03.2017

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Vom Lebenszyklus der Sprachen
Wie Sprachen Geburt, Tod und Auferstehung erleben

Geburt und Tod
Warum eine tote Sprache nicht wirklich tot ist

Verdrängt und ausgerottet
Wie sterben Sprachen?

Die Kleinen leiden mehr
Kultur, Politik und Minderheiten

Totes Latein?
Vom Seitenzweig zur Bildungssprache

Wandel statt Tod
Viele Sprachen leben in anderem Gewand weiter

Göttliche Sprachschöpfer
Mythen der Sprachentstehung

Trennung und Mischung
Wie Sprachen entstehen

Wiederauferstehung
Wie Hebräisch und Manx von den Toten zurückkehrten

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