Die vielleicht innovativste und bahnbrechendste Eigenschaft der Nautilus ist etwas für uns heute so Normales, dass es uns gar nicht mehr auffällt: die komplette Elektrifizierung. Ob Beleuchtung, Kommunikation oder die Zubereitung der Nahrung – ohne Strom geht heute kaum mehr etwas. Zu Vernes Zeit jedoch war die Elektrizität eine vollkommen neue Kraft. Thomas Alva Edison hatte seine Glühlampe noch nicht erfunden, Wernher von Siemens seinen Prototyp eines elektrischen Generators gerade erst vorgestellt.
Das „Bunsensche Element“
Doch eine elektrische Energiequelle gab es bereits und sie war auch Jules Verne bestens bekannt: das so genannte Bunsenelement, die erste Zink-Kohle-Batterie der Welt. Die 1843 von dem deutschen Chemiker Robert Wilhelm Bunsen erfundene Batterie schöpfte ihre Energie aus dem Elektronenfluss zwischen einer Kohleelektrode in Form eines äußeren Zylinders aus Presskohle und einer Zinkelektrode, die in den mit Schwefelsäure gefüllten Innenraum getaucht wurde. Ein poröser Tonzylinder trennte Kohle von Zinkbereich und verhinderte so die Durchmischung beider Komponenten.
Erste Experimente mit Elektrobooten
Als Stromlieferant für Alltagsanwendungen wie die Beleuchtung war diese Batterie viele zu groß und zu leistungsschwach, doch im Bereich des Schiffsbaus begannen Ingenieure sehr schnell, mit dieser neuen Energiequelle zu experimentieren. So fuhr auf der Newa in Sankt Petersburg bereits seit 1838 ein sieben Meter langes Passagierboot, das durch eine Vorform des Bunsenelements, die Grove-Zelle, angetrieben wurde. Der von dem in Russland lebenden deutschen Physiker Moritz Hermann Jacobi entwickelte Motor bestand aus Elektromagneten, die ein Schaufelrad bewegten.
Und quasi vor der Haustür von Jules Verne, im Pariser Bois de Boulogne, ließ um 1868 der Comte de Molin ein elektrisches Ruderboot zu Wasser, dessen Paddel von mehreren Bunsenelementen angetrieben wurden. Das Schiff kam allerdings nicht weit und blieb schon wenige hundert Meter weiter stehen.
Elektrizität an Bord der Nautilus
Auch Jules Verne setzt auf die Elektrizität und geht in seinem Szenario noch weit über das zur damaligen Zeit denkbare hinaus: „Es gibt eine mächtige, leicht zu beherrschende und jederzeit verfügbare Energie, die sich für alle Zwecke einsetzen lässt und das Leben hier an Bord bestimmt. Sie erfüllt alle Bedürfnisse, sorgt dafür, dass ich Licht habe, dass mir warm ist und dass meine mechanischen Geräte funktionieren. Diese Energie ist die Elektrizität“, erklärt Nemo. Und tatsächlich liefert Strom die Energie für nahezu alles an Bord der Nautilus: von den Lampen im Salon über Küchengeräte und Wasserversorgung bis hin zu den Bordinstrumenten und natürlich dem Antrieb.
Das Antriebsprinzip
Dass Verne hier nicht nur fabulierte, sondern die aktuellen Experimente und Technologien kannte, zeigt sein expliziter Bezug darauf. Er lässt Kapitän Nemo zum Prinzip der Stromerzeugung erklären: „Ich verwende Bunsensche Elemente, nicht Ruhmkorffsche. Sie würden zu schwach gewesen sein. Von den Bunsenelementen braucht man nicht viele, sie sind stark und groß, was der Erfahrung gemäß besser ist. Die erzeugte Elektrizität zieht sich nach hinten, wo sie über mächtige Elektromagnete auf ein besonderes System von Hebeln und Rädergetrieben wirkt, das dann die Bewegung auf die Schraubenwelle überträgt.“
Es folgt eine detaillierte Erklärung, wie Nemo die Bunsenelemente der Nautilus verbessert und so umgerüstet hat, dass sie mit aus dem Meerwasser extrahierten Natrium anstelle des Zinks laufen. Zwar wäre diese Methode technisch nicht wirklich umsetzbar, doch die grundsätzliche Idee, Strom als Antrieb für ein U-Boot zu nutzen, kam – wieder einmal – nicht von ungefähr.
Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010