Am nächsten Tag nimmt die Rechtsmedizinerin den Tatort erneut in Augenschein und begutachtet
das Blutspurenverteilungsmuster. Form und Verteilung von Blut in Blutspurenbildern zu interpretieren, ist ein wesentliches Element der forensischen Tatrekonstruktion und kann bei der Aufklärung von Delikten nützliche Hinweise liefern. Grundlage sind die physiko-chemischen und ballistischen Eigenschaften des Blutes außerhalb des Gefäßsystems.
Wie Blut auf Oberflächen auftrifft und abfließt, wie es aus dem Körper spritzt und auf der Haut verläuft, hängt von verschiedenen Größen ab: der Gravitationskraft, der Viskosität und Oberflächenspannung des Blutes. Außerdem kann man mithilfe der DNA-Analyse ausgewählter Blutspuren feststellen, ob das Blut von dem Opfer oder einer anderen Person stammt. Am Tatort beschreibt die Rechtsmedizinerin mehrere, regional voneinander abgrenzbare Blutspurenkomplexe. Sie unterscheidet zwischen passiven Spurenbildern, zum Beispiel Blutlachen oder Tropfspuren, und aktiven Spurenbildern, die durch Einwirkung des Täters entstehen, etwa Schleuder- oder Transferspuren.
„Bubbles“ verraten Atemwegsverletzung
Erwartungsgemäß findet die Ärztin eine massive Blutlache in der Raummitte, dort wo das Opfer aufgefunden wurde. Auffällig hieran sind sekretartige Auflagerungen durch die Absonderung von Magen- beziehungsweise Speiseröhrensekreten sowie zahlreiche blasige Einschlüsse, sogenannte Bubbles. Diese finden sich auch in vielen weiteren Blutspuren auf dem Boden und an Gegenständen, zum Beispiel am Bettkasten des linken Bettes. Solche Gaseinschlüsse entstehen, wenn sich Blut in den Atemwegen einer verletzten Person ansammelt und ausgeatmet oder ausgehustet wird.
Besonders bedeutsam für die Tatrekonstruktion ist dieser Befund an der Seitenfläche des Kleiderschrankes, der an das rechte Bett grenzt. Er belegt, dass dem Opfer die tiefe und tödliche Halsschnittverletzung bereits in liegender Position im Bett zugefügt worden sein muss. Dafür sprechen auch die flächenhaften Blutantragungen am Kopfende des Bettes und insbesondere fächerartige Spritzmuster, die aus linearen Tropfenstraßen bestehen. Diese entstehen, wenn Blut in einzelnen »Pulsschlägen« aus einer Arterie spritzt. Die Ärztin kann diese Blutantragungen den festgestellten Verletzungen der rechtsseitigen Halsgefäße zuordnen.
„Beschleunigte“ Spuren zeigen Bewegung
An den Zimmerwänden und der bis 2,56 Meter hohen Decke erkennt die Blutspurenspezialistin zahllose beschleunigte Blutspuren. Diese weisen an einzelnen Stellen ein typisches »Cast-off«-Muster auf, das charakteristisch ist für ausholende, zuschlagende oder zustechende Bewegungen. Sie entstehen etwa, wenn sich Blut von einer Waffe durch eine beschleunigte Bewegung löst. Mithilfe computergestützter trigonometrischer Berechnungen ermittelt die Medizinerin später den Ursprung der Blutspuren. Sie müssen in einer Höhe von circa 1,50 Meter entstanden sein, was darauf schließen lässt, dass das Opfer währenddessen aufrecht im Raum stand.
Diese Vorstellung passt auch zu dem größeren und intensiven Tropfspurenmuster vor dem Bett. Sie sprechen dafür, dass das Opfer an dieser Stelle verharrte, während Blut aus der stark blutenden Wunde auf den Boden tropfte. Fast auf Augenhöhe begutachtet die Ärztin zum Abschluss die Abdruckspur einer blutigen rechten Hand an der linken Zimmerwand, 1,40 Meter oberhalb des Bodens und 15 Zentimeter rechts des neben der Zimmertür befindlichen Lichtschalters. Solche Spuren werden als Transfer- oder Kontaktspur bezeichnet.
Das Tatgeschehen
Die Sachverständige schließt aus den Ergebnissen der Blutspurenverteilungsmusteranalyse, dass das Opfer im rechten Bett lag, als der Täter ihm die großen Schnittverletzungen am Hals zufügte. Dann sprang die Frau auf, und der Täter stach in stehender Position, unter anderem vor dem linken Bett, weiter auf sie ein. Die Frau ging zu Boden und blieb in der Mitte des Zimmers liegen, so, wie sie später von der Polizei gefunden wurde.
Forschung Frankfurt / Christina Kaiser, Silke Kauferstein, Esther Reuss und Cora Wunder
Stand: 25.06.2010