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Schauplatz: 77° südlicher Breite, 110° östlicher Länge. Ungemütlich, menschenleer und windig ist es hier. Temperaturen von bis zu 60 °C oder mehr sind an der Tagesordnung. Nicht unbedingt ein Platz zum Wohlfühlen. Auch, was diesen Ort zu einem ganz Besonderen macht, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Man spürt weder die träge Wanderung des gewaltigen ostantarktischen Eisschildes Richtung Meer, noch gibt es Anzeichen dafür, dass rund 4.000 Meter unter der Oberfläche der Lake Wostok liegt.
Die wahre Größe und präzise Lage des riesigen, untereisischen Frischwasser-Sees haben Wissenschaftler erst im Jahr 1996 mithilfe von Radarmessungen aus dem All und aus der Luft sowie einer detaillierten Auswertung seismischer Wellen ermittelt. Dass es solche Phänomene wie Lake Wostok am Südpol gibt, war aber bereits seit den 1970er Jahren bekannt. Damals gelang es Polarforschern mit einer neuen Technologie, dem so genannten „radio echo sounding“ erstmals, von einem Flugzeug aus tief ins antarktische Eis zu blicken.
Zufrieren verboten
Dabei stießen sie auf sehr untypische, glatte und ebene Regionen an der Basis des Eisschildes. Für die Wissenschaftler ein klares Indiz, dass es sich dabei nur um Seen mit flüssigem Wasser handeln konnte. Einer davon: der 16.000 Quadratkilometer große Lake Wostok.
Warum aber ist der See trotz frostiger -3°C Wassertemperatur nicht bis zum Grund zugefroren? Für dieses ungewöhnliche Phänomen haben Forscher wie John Priscu von der Montana State Universität in Bozeman eine einleuchtende Erklärung parat. „Drei fein ausbalancierte physikalische Eigenschaften arbeiten zusammen, um flüssiges Wasser zu erzeugen: Ein reduzierter Gefrierpunkt, natürliche Wärmeströme und die heizende Decke des rund vier Kilometer dicken Eisschildes.“
Eispanzer als Wärmedecke
Letztere sorgt durch den von ihr erzeugten enormen Druck nicht nur dafür, dass der Gefrierpunkt des Seewassers auf -1°C gesenkt wird, sie sperrt auch die vorhandene Erdwärme regelrecht ein. „Die Wärme genügt vollkommen, um die Basis des Eispanzers im Bereich des Schmelzpunktes zu halten – vorausgesetzt das Eis ist dick genug, um ausreichend vor der kalten Oberfläche zu isolieren“, erklärte Martin Siegert von der Universität in Bristol im Jahr 2004 in den National Geographic News.
Ein See entsteht
Entstanden ist Lake Wostok vermutlich irgendwann, nachdem Gondwanaland vor rund 100 Millionen Jahren zerbrochen war. Damals löste sich auch die Antarktis vom ehemaligen Superkontinent und einige Zeit später legte sich ein eisiger Ring, der Zirkumpolarstrom, um sie. Damit waren die wichtigsten Voraussetzungen für die folgende Vereisung gegeben. Wissenschaftler glauben, dass der riesige Eispanzer der Ostantarktis, unter dem auch Lake Wostok liegt, bereits seit 15 Millionen Jahren existiert.
Zumindest ansatzweise enträtselt ist auch, warum sich das Gewässer damals genau dort gebildet hat, wo es sich heute befindet. Robin Bell vom Lamont-Doherty Earth Observatory (LDEO) der Columbia Universität in New York ist überzeugt davon, dass der Wostok-See wie der Baikalsee in Sibirien oder der Malawisee in Ostafrika auf eine Verschiebung von tektonischen Platten in einem Grabenbruch zurückgeht.
„Dies hier ist kein Stück alter, ruhiger Kruste“, sagt die Geophysikerin. „Das ist ein Ort, an dem sich die Erde bewegt.“ LDEO-Kollege Michael Studinger – einer der Pioniere der Wostok-Forschung – pflichtet ihr in der Netzzeitung bei: „Unsere Daten zeigen, dass Lake Wostok auf einer bedeutenden geologischen Grenze liegt.“
Stand: 07.11.2008