Phänomene

Zwischen Symbiose und Fremdkörper

Wenn Kindeszellen die Mutter "entern"

Die enge Verbindung zwischen Mutter und Kind während der Schwangerschaft ist keine Einbahnstraße: Über die Plazenta und das Blut gelangen auch Zellen und Moleküle des Ungeborenen in den Kreislauf seiner Mutter. Und das kann Folgen haben – für Mutter und Kind.

Über Plazenta und Nabelschnur (Pfeil) stehen Mutter und Kind in Verbindung - und tauschen auch Zellen aus. © Nevit Dilmen/ CC-by-sa 3.0

Kindesblut als „Rotes Tuch“

Das bekannteste Beispiel ist sicher der Rhesusfaktor, eine bestimmte Gruppe von Proteinen, die auf der Oberfläche der Roten Blutkörperchen sitzen können. Fehlen der Mutter diese Proteine, ihr ungeborenes Kind ist aber rhesuspositiv, dann kann das zu Problemen führen. Denn das Immunsystem der Mutter interpretiert diese fremden Proteine, die über die Nabelschnur in ihren Kreislauf gelangen, als feindlich und beginnt, Abwehrmaßnahmen einzuleiten.

Für die aktuelle Schwangerschaft ist das noch nicht bedrohlich, weil das Kind geboren wird, bevor sich diese „Aufrüstung“ bemerkbar macht. Ist jedoch bei einer weiteren Schwangerschaft der Mutter das Kind wieder rhesuspositiv, kann es gefährlich werden. Denn nun greifen Antikörper der Mutter die Roten Blutkörperchen des Ungeborenen an und können schlimmstenfalls eine Fehlgeburt verursachen. Deshalb wird bei rhesusnegativen Schwangeren heute schon sehr früh kontrolliert, ob das Kind rhesuspositiv ist und man kann dann die Abwehrreaktion noch rechtzeitig stoppen.

Blutzellen früherer Kinder bleiben

Aber der Einfluss des Kindes auf die Mutter geht noch viel weiter: Sogar Körperzellen des Fötus können sich in der Mutter festsetzen – und das auf Jahre hinaus. Schon 1995 entdeckten Forscher zu ihrer Überraschung, dass im Blut schwangerer Frauen nicht nur die Blutzellen des aktuellen Fötus zirkulierten, sondern auch Blutzellen eines Kindes aus einer vorhergehenden Schwangerschaft.

Zellen des Fötus gelangen auch in den Körper der Mutter und können sich dort festsetzen. Man bezeichnet dies als fetalen Mikrochimärismus. © gemeinfrei

„Das hat beträchtliche Bedeutung, wenn fötale Zellen aus einer Blutprobe der Mutter für genetische Analysen genutzt werden sollen“, konstatierten die Forscher um Diana Bianchi von der Harvard University damals. Denn man kann nicht unbedingt sicher sein, dass die kindlichen Zellen auch wirklich diejenigen des aktuellen Ungeborenen sind. Denn der Studie nach können Blutzellen der Kinder bis zu 27 Jahre lang im Blut der Mutter nachweisbar bleiben.

Fremdlinge in unseren Organen

Noch skurriler aber wird es, wenn man nicht ins Blut, sondern in die Organe und das Gehirn der Mutter schaut. Denn auch hier hinterlässt das Ungeborene seine Spuren: Stammzellen des Fötus können sich dauerhaft in Herz, Haut, Bauchspeicheldrüse oder Knochenmark einnisten. Aus diesen „Nestern“ wird dann im Laufe des Lebens immer wieder Nachschub an fremden Zellen produziert. Sogar im Gehirn von Frauen haben Forscher bereits Zellen ihrer Kinder nachgewiesen. Sie fielen eher zufällig auf, weil sie das Geschlechtschromosomen-Paar XY statt des bei Frauen üblichen XX-Paares in sich trugen.

Welche Folgen dieser sogenannte Mikrochimärismus für die Gesundheit der Mütter hat, ist bisher kaum bekannt. In einigen Fällen könnten die fremden Zellen Krankheiten wie Rheuma fördern, in anderen, wie bei Brustkrebs, scheinen sie eher schützend zu wirken – Genaueres aber weiß man nicht. Klar scheint nur: Die meisten von uns tragen Zellen ihrer Mutter – und möglicherweise auch ihrer Kinder in sich.

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Nadja Podbregar
Stand: 13.05.2016

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Im Mutterleib
Das geheime Leben des ungeborenen Kindes

Startschuss und Symmetriebruch
Vom Zellklumpen zu den ersten Organen

Training für den Ernstfall
Der Fötus beginnt sein Eigenleben

Feinschmecker im Fruchtwasser
Der Geschmack entwickelt sich als erstes

Achtung, Fötus hört mit!
Musik und Sprache prägen das Kind schon im Mutterleib

Kleine Effekte - große Wirkung
Wie vorgeburtliche Einflüsse uns prägen

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