Bei diesem Schlangenschädel sind die wichtigsten Waffen unübersehbar: Die langen Fangzähne der Viper ragen weit über die restlichen Zähne hinaus. Doch wie effektiv sind diese Zähne, wenn es um das Punktieren der Beute geht? Ein neues Modell, hilft, die bei solchen „Werkzeugen“ involvierten Kräfte künftig besser messbar und vergleichbar zu machen – egal ob es sich um den Zahn einer Schlange, den Stachel einer Schlupfwespe oder den Stechrüssel einer Mücke handelt.
Ob die Eckzähne einer Säbelzahnkatze, die Giftzähne einer Schlange oder die dolchartigen Zähne eines Tiefseefischs: Die Natur hat diesen tierischen Räubern ein ganzes Arsenal an spitzen Waffen mitgegeben. Aber auch viele Insekten haben Organe und Körperanhänge ausgebildet, die Dolchen, Stacheln oder Nadeln ähneln: Mücken saugen mithilfe ihres Stechrüssels unser Blut und viele parasitische Wespenarten legen mit Legestacheln ihre Eier in die künftige Wirte ihrer Larven.
Gleiche Funktion, entscheidende Unterschiede
All diese Werkzeuge funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip: Die geringe Dicke und scharfe Spitze helfen dabei, eine Oberfläche zu durchdringen und mehr oder weniger tief in das darunter liegende Gewebe vorzustoßen. Doch jenseits ihrer grundlegenden Funktion haben Stechrüssel und Katzen-Eckzahn auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Das macht es schwer zu ermitteln, welche Energie ihre Träger beim Einsatz dieser Stichwerkzeuge einsetzen müssen.
„Vipern beispielsweise beißen oft Säugetiere. Dabei müssen sie durch Haut und weiches Gewebe eindringen“, erklärt Philip Anderson von der University of Illinois in Urbana-Champaign. „Andere Tiere dagegen beißen Reptilien, die Schuppenpanzer besitzen und die daher steifer und schwerer zu durchdringen sind.“ Einige parasitische Wespen können mit ihrem scheinbar zarten Stachel den Panzer von Käfern perforieren oder sogar Holz.
Ein Modell für alle
„Unsere Frage war daher, wie man diese verschiedenen Systeme vermessen und vergleichbar machen kann“, so Anderson. „Wir haben daher nach einem quantitativen Rahmen für all diese biologischen Punktier-Systeme gesucht.“ Als Ergebnis ihrer Suche haben die Forschenden ein Modell entwickelt, mit dem sich die Energie berechnen und vergleichen lässt, die die biologischen Stechwerkzeuge zum Punktieren verschiedener Materialien benötigen.
Als Parameter dienen dafür unter anderem die kinetische Energie beim Einstich und Eindringen in tiefere Schichten, aber auch der Widerstand, die Sprödigkeit und weitere Merkmale des perforierten Gewebes. „Wenn wir die Morphologie des Werkzeugs oder seiner Einstichspur kennen, dann können wir nun dieses Modell nutzen, um vorherzusagen, wie viele Energie für diese Perforation nötig war“, erklären die Wissenschaftler.
Egal ob der Zahn der Viper, der Stachel eines Insekts oder der Eckzahn eines ausgestorbenen Raubtiers: Mithilfe des neuen Modells können Biologen und Paläontologen künftig besser ermitteln, welche Kraft ein Tier für seinen Biss oder Stich aufbringen musste. (Journal of the Royal Society Interface, 2022; doi: 10.1098/rsif.2022.0559)
Quelle: University of Illinois at Urbana-Champaign