Archäologie

Fortgeschrittene Holzbearbeitung schon vor 300.000 Jahren

Wurfstock aus Schöningen wirft neues Licht auf Jagdtechniken der Frühmenschen

Wurfstock
Dieser 300.000 Jahre alte Wurfstock sieht simpel aus, war aber das Ergebnis einer mehrschrittigen Bearbeitung. © Volker Minkus

Effektive Jagd: Schon vor 300.000 Jahren verfügten Frühmenschen über genügend Intelligenz und Erfahrung, um ihre Holzwaffen durch komplexe Bearbeitung zu optimieren. Das demonstriert ein im niedersächsischen Schöningen gefundener Wurfstock aus Fichtenholz, der durch verschiedene Techniken entrindet, geformt, getrocknet und angespitzt wurde. Der Wurfstock widerlegt zudem die Annahme, dass diese Frühmenschen nur über Waffen mit geringer Reichweite verfügten, wie Forschende in „PLOS ONE“ berichten.

Der ehemalige Braunkohletagebau von Schöningen hat schon beeindruckende Funde aus der Zeit vor 300.000 Jahren geliefert. Darunter sind zahlreiche Steinwerkzeuge, Spuren eines Jagdlagers mit unzähligen Tierknochen sowie die ältesten Wurfstöcke und Holzspeere der Welt. Sogar Fußspuren des Homo heidelbergensis, der Frühmenschenart, die diese Werkzeuge wahrscheinlich schuf, wurden in Schöningen kürzlich entdeckt.

Mehrschrittige Bearbeitung

Jetzt haben Archäologen um Annemieke Milks von der University of Reading einen der beiden in Schöningen entdeckten Wurfstöcke erstmals genauer untersucht. Dieser Stock aus Fichtenholz ist an beiden Enden angespitzt, leicht gekrümmt und rund 77 Zentimeter lang. Mithilfe moderner Analysemethoden wie Mikro-Computertomografie und spektroskopischen Analysen wollten sie herausfinden, wie das Holz für diesen Wurfstock bearbeitet wurde, wie er einst eingesetzt wurde und ob es Nutzungsspuren gibt.

Die Analysen ergaben: Dieser auf den ersten Blick unscheinbare Holzstock war das Ergebnis einer sorgfältigen und kenntnisreichen Bearbeitung. „Die Holzverarbeitung umfasste mehrere Schritte, darunter das Einschneiden und Abziehen der Rinde, das Schnitzen in eine aerodynamische Form, das Abschaben eines größeren Teils der Oberfläche, das Trocknen des Holzes, um Risse und Verformungen zu vermeiden, und das Schleifen zur sicheren Handhabung“, berichtet Koautor Dirk Leder vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege.

Planungstiefe und Fachwissen nötig

Diese Art der Bearbeitungen erforderte mehrere verschiedene Werkzeuge und Arbeitsschritte und sprechen nach Ansicht der Archäologen dafür, dass die Holzbearbeitungstechnik der Frühmenschen deutlich entwickelter und ausgefeilter war als bisher angenommen. „Die Homininen von Schöningen verfügten bereits über eine bemerkenswerte Planungstiefe, ein umfassendes Wissen über die Eigenschaften von Holz und viele Holzbearbeitungstechniken, die wir auch heute noch nutzen“, erklärt Milks.

Die durch wiederholten Gebrauch geglättete Oberfläche des Wurfstocks im mittleren Bereich, die sorgfältig geformten Spitzen und der durch die Handhabung entstandene Glanz lassen auf eine aufwendig hergestellte Waffe schließen, die längere Zeit genutzt wurde. Erst dann ging sie am Ufer des ehemaligen Schöninger Sees – möglicherweise nach einem Wurf ins Schilf – verloren und wurde im Schlamm konserviert.

Jagd mit Wurfhölzern
Der Wurfstock könnte zur Jagd auf kleinere schnelle Tiere wie Wasservögel oder Hasen eingesetzt worden sein. © Benoit Clarys

Jagd mit größerer Reichweite und breiterem Beutespektrum

Der Wurfstock wirft auch ein neues Licht auf die Jagdtechniken und Beute der Frühmenschen von Schöningen. „Die Entdeckung von Holzwerkzeugen hat unser Verständnis des frühen menschlichen Verhaltens revolutioniert“, sagt Milks. Vor allem die Wurfstöcke könnten das Beutespektrum dieser Frühmenschen erheblich erweitert haben. Tests mit Nachbauten und ähnlich geformten Wurfhölzern der Aborigines legen nahe, dass solche Wurfstöcke bis zu 30 Meter weit fliegen konnten und schnell genug waren, um ein Tier tödlich zu treffen.

Die Frühmenschen von Schöningen könnten solche Holzwaffen verwendet haben, um schnelle Beutetiere wie Hasen und Vögel zu jagen, wie das Team erklärt. Aber auch bei der Jagd auf mittelgroßes Wild wie Reh und Rothirsch könnte der Wurfstock zum Einsatz gekommen sein. Aus mehreren Meter Entfernung geschleudert entfaltete er genügend Wucht, um einem solchen Huftier die Beine zu brechen.

„Von den Homininen des mittleren und beginnenden späten Pleistozäns nimmt man oft an, dass sie durch ihre eher auf kurze Distanzen ausgelegten Jagdtechnologien eingeschränkt waren, weil Speere nur Ziele in fünf bis zehn Meter Entfernung genau treffen konnten“, erklären die Forschenden. Aber die Holzspeere und Wurfstöcke aus Schöningen widersprächen dieser Vorstellung. Denn insbesondere die Wurfstöcke erweiterten die Reichweite der frühen Jäger erheblich. (PLoS ONE, 2023; doi: 10.1371/journal.pone.0287719)

Quelle: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege

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