Wann begann der Mensch, das Pferd zum Reiten zu nutzen? Gräber von Steppennomaden in Südosteuropa liefen nun erste Antworten. Denn die 4.500 bis 5.000 Jahre alten Skelette aus der Jamnaja-Kultur weisen morphologische Veränderungen auf, wie sie typischerweise durch regelmäßiges Reiten entstehen. Dies ist der bisher früheste Beleg für das Reiten beim Menschen, wie die Archäologen in „Science Advances“ berichten. Pferde könnten demnach schon kurz nach ihrer Domestikation vor rund 5.500 Jahren aus als Reittiere gedient haben.
Die Domestikation der Pferde und ihre Nutzung als Reit- und Lasttier waren ein wichtiger Meilenstein in der menschlichen Geschichte. Denn dadurch konnten unsere Vorfahren erstmals größere Entfernungen überwinden, Lasten effektiv transportieren und ganz neue Techniken im Ackerbau und beim Kampf entwickeln. Genetische und archäologische Studien sprechen dafür, dass die ersten Pferde vor rund 5.500 Jahren von Bewohnern der eurasischen Steppe gezähmt und als Nutztiere gehalten wurden – allerdings zunächst nur als Fleisch- und Milchlieferanten.
Wann begann die Ära des Reitens?
Doch wann das Pferd auch zum Reittier avancierte, ist bisher unklar. Denn ob ein Pferd geritten wurde, lässt sich nicht an seinem Skelett ablesen, und Zaumzeug aus vergänglichen Materialien überdauert die Jahrtausende meist nicht. Vermutlich waren Nomadenkulturen der eurasischen Steppe die ersten, die hoch zu Ross ihre Umgebung erkundeten. Als besonders wahrscheinliche Kandidaten gelten die Jamnaja, die in der Bronzezeit weite Teile der eurasischen Steppe bevölkerten.
Vor rund 5.000 Jahren breiteten sich die Jamnaja innerhalb von wenigen hundert Jahren von der pontisch-kaspischen Steppe nach Südosteuropa und im Osten bis in die Mongolei aus. „Es ist schwer vorstellbar, wie diese Expansion ohne fortgeschrittene Transportmethoden möglich war“, erklären Martin Trautmann von der Universität Helsinki und seine Kollegen. Ob die Jamanja jedoch dabei beritten waren, ließ sich nicht belegen – bis jetzt.
Morphologische Veränderungen als Indiz
Trautmann und sein Team haben nun mit einem ganz neuen Ansatz nach Indizien gesucht. Ausgangspunkt waren Darstellungen früher Reiter aus dem mesopotamischen Ur und dem alten Ägypten. Sie zeigen Reiter meist in dem für das Reiten ohne Sattel und Steigbügel typischen Stuhlsitz. An diesem Punkt setzen die Archäologen an: „Der Stuhlsitz ist physisch anstrengend, weil die Beine ständig zusammengedrückt werden müssen, um Halt auf dem Pferderücken zu finden, und weil man ständig balancieren muss“, erklären sie.
Dies erzeugt charakteristische Veränderungen, unter anderem an Knochen und Muskelansatzstellen der Hüfte und der Oberschenkelknochen. Für ihre Studie haben Trautmann und sein Team 156 Skelette von Jamnaja und anderen Steppenbewohnern aus der Zeit vor 4.500 bis 5.000 Jahren auf sechs diagnostische Kriterien für das Reiten hin untersucht. Als potenzielle Reiter werteten sie dabei die Toten, die mehrere dieser sechs Kriterien erfüllten.
Jamnaja ritten schon vor 5.000 Jahren
Das Ergebnis: 24 der untersuchten Toten erfüllten zumindest einige der sechs Kriterien für eine längerfristige Fortbewegung hoch zu Ross. Neun dieser Skelette wiesen vier Indikatoren fürs Reiten auf, fünf Skelette erfüllten sogar fünf oder alle sechs Kriterien. Diese Menschen müssen demnach zu Lebzeiten regelmäßig auf dem Pferderücken gesessen haben. Ihre sterblichen Überreste stammten aus 4.500 bis 5.000 Jahre alten Grabhügeln der Jamnaja in Rumänien, Bulgarien und Ungarn.
„Dies sind die ältesten Menschen, die bisher klar als Reiter identifiziert worden sind“, berichten die Archäologen. Ihrer Ansicht nach belegt dies, dass die Jamnaja sich schon vor rund 5.000 Jahren reitend fortbewegten. „Das Reiten scheint sich demnach nicht lange nach der Domestikation der Pferde in den westlichen Steppen Eurasiens entwickelt zu haben“, sagt Trautmanns Kollege Volker Heyd.
Diese frühen Reitpferde waren wahrscheinlich noch schreckhafter und weniger zahm als ihre Nachfahren. Das machte sie eher ungeeignet für den Kampf zu Pferde. „Aber das Reiten war sicher nützlich, um ausgedehnte Gebiete zu patrouillieren und große Viehherden zu überwachen“, erklären die Forscher. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.ade2451)
Quelle: Science Advances, University of Helsinki