Gut konserviert: In Sedimentproben aus dem Südpolarmeer haben Forschende erstmals eine Million Jahre alte DNA nachgewiesen. Dieses von eukaryotischen Organismen stammende Erbgut ist die weltweit älteste marine DNA und eine der ältesten eindeutig bestätigten Umwelt-DNA-Proben überhaupt. In weiteren Proben identifizierte das Team zudem die 540.000 Jahre alte DNA von Kieselalgen – dies ist der älteste Nachweis von Erbgut dieser Algengruppe über Analysen des marinen Sediments.
Ob in der Luft, im Hausstaub, im Boden oder in den Sedimenten der Tiefsee: Das Erbmolekül DNA findet sich nicht nur im Innern von Lebewesen, sondern auch frei in der Umwelt. Denn immer, wenn ein Organismus Hautschuppen, Kot, Urin oder Speichel abgibt oder ein Lebewesen stirbt und zersetzt wird, gelangen Zellreste und damit Spuren seines Erbguts in die Umgebung. Über die Analyse dieser Umwelt-DNA kann man daher darauf rückschließen, welche Organismen in dieser Umgebung leben oder gelebt haben.
DNA-Fahndung im Meeresgrund
Besonders aufschlussreich kann die DNA-Analyse von Meeressedimenten sein. Denn sie liefert Einblicke in Ökosysteme, die oft nur schwer zugänglich und weitgehend unerforscht sind. Allerdings ist die Sediment-DNA (SedaDNA) schwer zu analysieren, weil sie meist nur in Spuren vorhanden ist und die Erbgutstränge durch Umwelteinflüsse oft stark degradiert sind. Unklar war zudem, wie lange Sediment-DNA überhaupt konserviert und nachweisbar bleibt.
Deshalb haben Linda Armbrecht von der University of Tasmania und ihre Kollegen an mehreren Stellen im Südpolarmeer Bohrkerne von Tiefseesedimenten entnommen und sie auf alte Umwelt-DNA hin untersucht. Ihre Vermutung: In solchen kalten, tiefen Meeressedimenten könnte Erbmaterial besonders lange überdauern: „In ihnen herrschen konstant niedrige Temperaturen von rund null Grad und ein geringer Sauerstoffgehalt, UV-Strahlung fehlt zudem komplett“, so das Team. Zusammen hemmt dies DNA-abbauende Reaktionen.
Erbgut aus der Zeit vor einer Million Jahren
Tatsächlich wurden die Forschenden fündig: Insgesamt erbrachten ihre Analysen fast 300.000 DNA-Fragmente, die Bakterien, Archaeen und eukaryotischen Zellen zugeordnet werden konnten. Den größten Anteil mit rund 20 Prozent hatten nicht weiter klassifizierbare Eukaryoten, gefolgt von Kieselalgen. Deren DNA-Anteil nahm vor allem in den nach der letzten Eiszeit abgelagerten Sedimenten bis auf rund 50 Prozent zu, wie Armbrecht und ihre Kollegen berichten.
Das Entscheidende jedoch: Anhand der Degradierung konnten die Wissenschaftler auch das Alter der SedaDNA bestimmten – und dies ergab Überraschendes. Denn in einer Probe aus der Scotia-See zwischen dem Südende von Südamerika und der Nordspitze der Westantarktis fanden sich eukaryotische DNA-Sequenzen, die zwischen 750.000 Jahre und eine Million Jahre alt waren.
Ältester Nachweis von Sediment-DNA
„Dies ist die mit Abstand älteste authentifizierte marine SedaDNA“, sagt Armbrecht. Zum Vergleich: Die zuvor älteste Sediment-DNA wurde aus rund 400.000 Jahre alten Höhlensedimenten und rund 650.000 Jahre alten Permafrost-Ablagerungen isoliert. Unter den jetzt mittels DNA nachgewiesenen Organismen befanden sich zudem zahlreiche Kieselalgen, deren DNA schon bis zu 540.000 Jahre alt war. Sie repräsentieren damit das weltweit älteste aus marinen Sedimenten isolierte Diatomeen-Erbgut.
In einer der Proben wies das Team sogar eukaryotische DNA nach, die schon 2,5 Millionen Jahre alt zu sein schien. „Allerdings betrachten wir dieses Ergebnis mit großer Vorsicht“, betonen Armbrecht und ihr Team. „Denn selbst unter idealen Bedingungen wird nicht erwartet, dass DNA viel länger überdauert als rund eine Million Jahre.“ Es könnte daher sein, dass die Probe doch jünger ist als aufgrund der Datierung angenommen.
Einblicke in Ökosysteme der Vergangenheit
Insgesamt legt der Nachweis der bis zu einer Million Jahre alten Sediment-DNA nahe, dass das im Meeresgrund enthaltene Erbgut mariner Organismen länger erhalten bleibt als zuvor angenommen. Proben mariner Sedimente eröffnen damit die Chance, ganz neue Einblicke in Ökosysteme der Vergangenheit und ihre Veränderungen zu gewinnen. So zeigte die Studie beispielsweise, wie die Zahl der Kieselalgen und damit wichtiger Primärproduzenten der Polarmeere jeweils in den Warmzeiten des Eiszeitalters zunahm.
Die letzte derartige Veränderung fand vor etwa 14.500 Jahren statt. “Dies ist eine interessante und wichtige Veränderung, die mit einem weltweiten und schnellen Anstieg des Meeresspiegels und einem massiven Eisverlust in der Antarktis aufgrund der natürlichen Erwärmung zusammenhängt”, erklärt Koautor Michael Weber von der Universität Bonn. Das Ende der letzten Eiszeit führte demnach zu einem Anstieg der Meeresproduktivität auch im Südpolarmeer.
Solche Erkenntnisse können auch dabei helfen, Vorhersagen darüber zu treffen, wie die Meeresbewohner rund um die Antarktis auf den derzeitigen und künftigen Klimawandel reagieren werden. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-022-33494-4)
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn