Unsere bewusste Wahrnehmung ist einem Film oder einem Computerbildschirm ähnlicher als gedacht: Sie aktualisiert ihre Sinneseindrücke nicht kontinuierlich, sondern in einem bestimmten Takt. Diese Update-Zeitfenster hat ein französisches Forscherteam in einem Experiment nachgewiesen. Sie fanden einen Zusammenhang zwischen dem regelmäßigen Auf und Ab der Hirnströme und der Verzögerung, mit der Probanden ein kurzes Aufleuchten wahrnahmen. Waren bestimmte Schwingungen ihrer Hirnwellen gerade an ihrem höchsten Punkt, registrierte ihr Bewusstsein das Blinken schneller als in einer anderen Phase. Das zeige, dass die Aktualisierung der bewussten Wahrnehmung rhythmisch, im Takt der Hirnströme erfolge und nur scheinbar fließend und kontinuierlich sei, berichten Ramakrishna Chakravarthi und Rufin VanRullen von der Universität von Toulouse im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
„Unsere Wahrnehmung von Veränderungen in unserer Umwelt erscheint uns nahtlos“, sagen die Forscher. Daher sei es nur naheliegend anzunehmen, dass auch das bewusste Abbild der Umwelt in unserem Gehirn kontinuierlich aktualisiert werde. Aber das müsse nicht so sein. Schaue man sich beispielsweise einen Film im Kino oder im Fernsehen an, erscheine er uns fließend und kontinuierlich. Trotzdem bestehe der Film in Wirklichkeit aus einzelnen Bildern, die in einem bestimmtem Rhythmus austauscht werden.
Dass auch die bewusste Wahrnehmung wie ein Film in einzelnen Schritten aktualisiert wird, zeigt erst jetzt das Experiment der Forscher. „Für unsere visuelle Wahrnehmung gibt es offenbar bestimmte Zeitfenster, in denen Reize effektiver wahrgenommen und verarbeitet werden als zu anderen Zeiten“, erklären Chakravarthi und VanRullen.
Wandernder Zeiger und aufleuchtender Rand
Für ihre Studie führten die Forscher ein Experiment mit insgesamt 15 Probanden im Alter zwischen 21 und 38 Jahren durch. Jeder Teilnehmer trug während des Versuchs eine Elektrodenkappe auf den Kopf, über die seine Gehirnströme abgeleitet wurden. Diese charakteristischen Wellenmuster zeichneten die Wissenschaftler in Form eines Elektroenzephalogramms (EEG) auf. Auf einem Computerbildschirm sahen die Versuchsteilnehmer währendessen eine einfache Stoppuhr mit einem laufenden Zeiger. Zu einem bestimmten Zeitpunkt blinkte der Rand des Zifferblatts für rund 100 Millisekunden rot auf. Der Zeiger lief dabei weiter. Anschließend sollten die Probanden den Zeiger so einstellen, wie er ihrer Wahrnehmung nach zu Beginn des roten Aufleuchtens stand.
Alle Teilnehmer stellten den Zeiger zu weit vor, sie nahmen das Aufleuchten mit einer Verzögerung von bis zu zehn Millisekunden wahr. Das Ausmaß dieser Verzögerung, der sogenannte Flash-Lag-Effekt, veränderte sich im Takt verschiedener Gehirnströme aus dem vorderen und aus dem oberen Hirnbereich, wie die Forscher berichten. Die Effekte beider Hirnregionen seien dabei unabhängig voneinander aufgetreten und hätten sich teilweise addiert.
Möglicherweise, so vermuten die Wissenschaftler, beeinflussen daher sogar zwei Rhythmen die Wahrnehmung: Hirnströme aus einem Areal geben den Takt dafür vor, wie schnell wir auf etwas Neues aufmerksam werden. Eine zweite Gruppe von Wellen beeinflusst dann das bewusste Verarbeiten dieses Neuen. (doi:10.1073/pnas.1121622109)
(Proceedings of the National Academy of Sciences, 12.06.2012 – NPO)