Nicht nur Lärm schadet dem Gehör, oft sind auch genetische Faktoren dafür verantwortlich, wenn die Hörfähigkeit bereits früh verloren geht. Forscher haben jetzt eine weitere, bisher noch unbekannte, erbliche Ursache für fortschreitende Schwerhörigkeit entdeckt: So können Mutationen eines bestimmten Gens auf dem X-Chromosom Taubheit auslösen.
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Bisher war nicht bekannt, dass dieses smpx (Small Muscle Protein)-Gen, das im Skelettmuskel und im Herz aktiv ist, auch im Gehör eine Rolle spielt. Die Entdeckung erleichtert einerseits die Diagnose bei Hörverlust. Darüber hinaus bietet sie möglicherweise auch einen Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden, berichtet das Fachmagazin „The American Journal of Human Genetics“.
Schwerhörigkeit hat viele Ursachen
Erblich bedingte Schwerhörigkeit hat viele Ursachen: Bisher kennen Forscher mehr als 50 Gene mit unterschiedlichen Funktionen, die als Auslöser in Frage kommen. Doch nicht nur die Ursache der Erkrankung unterscheidet sich von Fall zu Fall. Auch das Vererbungsmuster ist sehr variabel. Die große Bandbreite an möglichen Auslösern macht es schwierig, die Ursache zu diagnostizieren und erschwert so die Beratung von Patienten und ihren Angehörigen.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin haben nun zusammen mit Kollegen aus Nijmegen eine neue genetische Veränderung entdeckt, die nach und nach zu einem kompletten Hörverlust führt: Mutationen im smpx-Gen.
„In unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, dass smpx im Innenohr sehr aktiv ist“, sagt Vera Kalscheuer vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Bisher war lediglich bekannt, dass das Gen im Skelettmuskel und im Herz eine wichtige Rolle spielt. Dass es auch im Innenohr aktiv ist, war für die Forscher eine Überraschung. Das Erstaunliche ist, dass sich die Mutation aber nur auf das Gehör auswirkt, während Muskeln und Herz in ihrer Funktion nicht beeinträchtigt werden.
Austausch einer einzelnen Base entscheidend
Bei der krankheitsverursachenden Mutation handelt es sich um den Austausch einer einzelnen Base in der Erbsubstanz, so die Forscher. Die Veränderung im genetischen Code führt zu einem vorzeitigen Stopp-Kodon. Die fehlende Information resultiert entweder in einem vorzeitigen Abbau des mutierten Genprodukts oder aber zu einem verkürzten Protein, das seine Funktion nicht richtig erfüllen kann. Anders als bei den meisten X-chromosomalen Krankheiten sind hier nach Angaben der Wissenschaftler auch Frauen betroffen, jedoch meist weniger schwer.
Funktion des Proteins im Hörprozess unbekannt
Bisher ist nicht bekannt, welche Funktion das Protein im Hörprozess hat, dessen Bauplan im smpx-Gen verschlüsselt ist. Die Forscher vermuten, dass es für die Entwicklung der Haarzellfortsätze der Innenohrschnecke wichtig ist. Die feinen Strukturen reagieren auf Schallwellen und sorgen dafür, dass die Geräusche in elektrische Potenziale umgewandelt und an das Hörzentrum im Gehirn weitergeleitet werden. Demnach wäre eine Fehlfunktion dieser so genannten Stereozilien für die Schwerhörigkeit verantwortlich.
Für ihre Studie haben die Wissenschaftler eine Familie untersucht, in der erbliche Schwerhörigkeit über fünf Generationen hinweg auftritt. Um gezielt nach Mutationen zu fahnden, haben sie sämtliche Gene des X-Chromosoms angereichert und sequenziert. Dabei fanden sie den Basenaustausch im smpx-Gen aller Betroffenen.
Leichtere Diagnose von Schwerhörigkeit
Im Laufe ihrer Untersuchungen sind die Forscher noch auf eine zweite Mutation gestoßen, die ebenfalls zu Taubheit führt. So entdeckten sie in einer anderen betroffenen Familie, dass der Verlust einer einzelnen Base im smpx-Gen zu einem Stopp-Kodon und damit zu einem Funktionsverlust des Proteins führt.
„Unsere Entdeckung erleichtert die Diagnose von Schwerhörigkeit“, sagt Kalscheuer. „Über die Funktion des SMPX-Proteins können wir aber bisher nur spekulieren.“ Als nächstes wollen die Wissenschaftler daher in funktionellen Tests herausfinden, welche Rolle das Protein im Gehör spielt. „Wenn wir den genauen Mechanismus kennen, können wir auf dieser Grundlage weiterforschen, um möglicherweise auch neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln“, so Kalscheuer. (The American Journal of Human Genetics, 2011; doi:10.1016/j.ajhg.2011.04.012)
(MPG, 26.05.2011 – DLO)