Dass Riesenärger oder jubelnde Freude ausschließlich den Gedanken entspringt, ist eine überholte Theorie. Genauso wenig funktionieren alle Emotionen ganz ohne das Denken. Wie aber entstehen dann Emotionen? Ein neues Modell Bochumer Wissenschaftler beantwortet jetzt diese Frage.
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Es nutzt entwicklungspsychologische Erkenntnisse und klassifiziert alle menschlichen Emotionen nach ansteigender Komplexität in vier Entwicklungsstufen: in Prä-Emotionen, Basisemotionen sowie primäre und sekundäre kognitive Emotionen. Auf diesem Wege entsteht zum Beispiel aus einem vagen Wohlbefinden erst Freude, dann Zufriedenheit und schließlich Stolz. Die Forscher um Professor Albert Newen und seine Mitarbeiterin Alexandra Zinck vom Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) berichten über ihr Modell in der Fachzeitschrift „Synthese“.
Am Anfang stehen Unbehagen oder Wohlbefinden
Die erste Stufe der Emotionen, die so genannten Prä-Emotionen, drücken spontan nur Wohlbefinden oder Unbehagen aus. Zwar sind bei diesen unfokussierten Vorformen schon alle Aspekte von Emotionen vorhanden: die physische Erregung, eine schnelle Bewertung der Situation, der physiognomische Ausdruck, das dazugehörige Gefühl. Aber Prä-Emotionen bleiben unspezifisch und sind nicht mit einer Handlungsabsicht verbunden. Eine Situation wird nur positiv oder negativ bewertet, ohne dass sie näher gedanklich analysiert wäre.
In allen Kulturen gleich: Angst, Freude, Ärger, Trauer
Die Prä-Emotionen differenzieren sich auf der nächsten Stufe dann in eine der vier Basisemotionen: Freude im positiven Fall, Trauer, Angst oder Ärger im negativen. „Diese Emotionen sind entwicklungspsychologisch betrachtet universelle Basisemotionen“, erklärt Newen. „Der Gesichtsausdruck verrät sie, und zwar unabhängig vom kulturellen Umfeld.“
Die basalen Emotionen sind grundlegende Affektprogramme, die unabhängig von der bewussten Reizverarbeitung und auch unabhängig von langsameren kognitiven Prozessen wie Gedanken ablaufen. Sie fokussieren unmittelbar die Aufmerksamkeit und rufen eine schnelle Reaktion hervor: Wir haben Angst noch bevor wir zum Beispiel wissen, ob ein Objekt eine Schlange oder ein Stock ist. Das ermöglicht es uns, unverzögert auf etwas zu reagieren, das wir als „gefährlich“ vermuten und das bei uns ein Fluchtverhalten auslöst.
Die langsamere, bewusste Verarbeitung eines Reizes läuft parallel über die Großhirnrinde, den so genannten Neokortex, ab. Wir sehen bewusst die Schlange oder den Stock – und werden durch diesen Eindruck bestätigt oder entwarnt. Trotzdem sind wir dann schon zur Seite gesprungen. Aus den Basisemotionen entstehen im Zuge der bewussten Verarbeitung des Reizes Verhaltensreaktionen: Gefahr erzeugt Angst und entsprechendes Fluchtverhalten; aus der Erfahrung von Trennung und Verlust wird Traurigkeit; Frustrationen und Hindernisse verursachen Ärger. Schließlich entsteht mit der Erfahrung des Erfolges eigener Mühe sowie sozialer Akzeptanz das Gefühl von Freude.
Zufriedenheit – erst mit Gedanken zu erreichen
Zur körperlichen Reaktion kommt in der nächsten Entwicklungsstufe, bei den primären kognitiven Emotionen, nun der Inhalt von Gedanken hinzu. „Wenn wir beim Beispiel der Angst bleiben, so wird die basale Emotion Angst allein dadurch erzeugt, dass es eine unbewusste Bewertung einer Situation als gefährlich gibt. Die primäre kognitive Emotion dagegen schließt die bewusste Überzeugung ein, dass die Situation gefährlich ist. Dann sprechen wir von Bedrohung“, erläutert Newen. Mit der bewussten Überzeugung wird eine feinkörnigere Bewertung der Situation vorgenommen. Im Fall der Freude wäre die primäre kognitive Emotion die Zufriedenheit, wenn jemand feststellt, dass alles gemäß seinen Erwartungen verläuft und zudem noch die Sonne scheint.
Minitheorie ermöglicht Stolz und Scham
Bei den sich daran anschließenden sekundären kognitiven Emotionen ist nicht nur eine Überzeugung, sondern gleich eine Minitheorie über soziale Beziehungen mit im Spiel. „So kann zur Dimension der Angst als sekundäre kognitive Emotion die Eifersucht hinzukommen – als die Angst, den Partner zu verlieren“, so Newen.
Hier wirkt eine Minitheorie über soziale Erwartungen und Normen, zu der ein Selbstkonzept, Meinungen über soziale Relationen zu bestimmten Individuen und allgemeine soziale Normen, sowie Erwartungen und Hoffnungen in Bezug auf die Zukunft gehören. Daher sind diese komplexen Emotionen besonders abhängig von kultureller Einbettung und persönlicher Erfahrung.
Deshalb unterscheiden sie sich auch sehr stark, sowohl zwischen Individuen als auch zwischen Kulturen. Scham und Stolz zum Beispiel unterscheiden sich sowohl was die Anlässe, als auch was das Verhalten oder die Bewertung dieser Emotion selbst angehen, stark zwischen westlichen und asiatischen Kulturen.
(idw – Ruhr-Universität Bochum, 11.03.2008 – DLO)