Intelligente Prothesen genauso mit den Gedanken steuern wie gesunde Gliedmaßen: Das sollen Schnittstellen zwischen Hirn und Maschine ermöglichen. Elektroden messen dazu die Signale der Nervenzellen und wandeln sie in Steuerbefehle um. Bisher ließen sich auf diese Weise lediglich einzelne künstliche Gliedmaßen steuern, etwa einen Roboterarm oder eine künstliches Bein. Im Fachmagazin „Science Translational Medicine“ berichten nun US-Forscher von Rhesusaffen, die erstmals zwei virtuelle Arme gleichzeitig bewegen.
Es fehlte ein zweiter Arm
Als Jan Scheuermann sich wieder selbst einen Schokoriegel in den Mund schieben konnte, war sie überglücklich. US-Forscher hatten im vergangenen Jahr rund 200 Neuronen der gelähmten Frau angezapft. Die Signale der Nervenzellen verwandelten sie in digitale Befehle, die einen Roboterarm steuerten. Bald erledigte Scheuermann manche Bewegungsabläufe mit der klugen Prothese fast so fix, als sei sie gesund. Doch für viele Dinge brauchte sie weiterhin Hilfe – und sei es nur, um den Schokoriegel auszupacken. Es fehlte ein zweiter Arm.
„Beidhändige Bewegungen spielen bei alltäglichen Aktivitäten eine große Rolle – das reicht vom Tippen auf der Tastatur bis zum Öffnen einer Dose“, sagt Neurobiologe Miguel Nicolelis. „Zukünftige Maschine-Hirn-Schnittstellen, die Menschen ihre Bewegungsfähigkeit zurückgeben sollen, müssen mehrere Gliedmaßen mit einbeziehen, damit schwer gelähmte Menschen wirklich davon profitieren.“
Elektroden belauschen motorischen Cortex
Nicolelis gehört zu einem Team um Peter Ifft von der Duke University, dem nun ein wichtiger Schritt in diese Richtung gelungen ist: Die Wissenschaftler brachten Rhesusaffen bei, zwei virtuelle Arme durch Gedanken zu steuern. Dazu implantierten sie den beiden Tieren zuerst hauchdünne Mikroelektroden, wie sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Science Translational Medicine“ beschreiben. Die Elektroden belauschten bis zu 500 einzelne Neuronen, während sie feuerten. Die meisten dieser Nervenzellen lagen im motorischen Cortex, jener Hirnregion, die für die Steuerung von Bewegungen zuständig ist.
Anschließend trainierten die Forscher die Affen darauf, die Gliedmaßen zu kontrollieren. Dazu saßen die Tiere vor einem Bildschirm, der zwei sehr äffisch anmutende Arme zeigte. Es galt, linke und rechte virtuelle Hand auf zwei Kreise zu legen, die an wechselnden Positionen auf dem Bildschirm erschienen.
Ein Rhesusaffe steuerte die Computerarme zunächst mit Hilfe von Joysticks, ein anderer beobachtete lediglich, wie sich die animierten Hände bewegten. Letztlich erwartete beide Makaken jedoch dieselbe Aufgabe: Während ihre Arme fixiert und durch ein Tuch verdeckt waren, mussten sie die virtuellen Hände kraft ihrer Gedanken über die Kreise schieben.
Mehr als nur linker und rechter Arm
Beide Affen schlugen sich immer besser, je länger sie trainierten. Offenbar integrierten sie die künstlichen Arme im Laufe der Zeit sogar in ihr Körperbild. Die Forscher stellten außerdem fest, dass größere Verbände von Nervenzellen für Bewegungen verantwortlich waren, bei denen beide Arme zum Einsatz kommen. Dabei beschränkte sich das Hirn nicht darauf, einfach jene Signale zu kombinieren, die getrennte Bewegungen des linken oder rechten Arms steuerten.
„Wir stellten fest, dass wir nicht in der Lage waren vorauszusagen, was einzelne Nervenzellen oder Populationen von Neuronen bei einer beidhändigen Aufgabe tun würden, indem wir einfach die neuronalen Aktivitäten genau dieser Nervenzellen bei Bewegungen mit nur einem Arm addierten“, sagt Nicolelis. Offenbar sind beidhändige Bewegungen mehr als nur die Summe ihrer Bestandteile. Das macht es umso komplexer, Algorithmen zu entwickeln, die Signale der Nerven sicher in die richtigen Bewegungen umsetzen können.
Mehr als 500 angezapfte Neuronen
Beidhändige Bewegungen ließen sich in der Studie umso sicherer steuern, je größer die Zahl der angezapften Neuronen war. Dabei mussten die Affen ihre virtuellen Arme lediglich nach links oder rechts, vorn oder hinten bewegen. Aufgaben wie das Auspacken eines Schokoriegels hingegen erfordern die präzise Koordination nicht nur der Arme, sondern aller zehn Finger. Gut möglich also, dass komplexere Prothesen Signale von noch weit mehr als 500 Nervenzellen empfangen müssten.
(Science Translational Medicine, 2013; doi: 10.1126/scitranslmed.3006159)
(Peter J. Ifft (Duke University, Durham) et al., Science Translational Medicine, 07.11.2013 – NSC)