Erlernt oder doch angeboren? Forscher widerlegen vermeintliche Beweise dafür, dass Schimpansen die „Sprache“ einer anderen Gruppe von Artgenossen lernen können. Die Ergebnisse einer früheren Studie halten ihrer Ansicht nach einer kritischen Überprüfung nicht stand. Wie die Wissenschaftler im Journal „Current Biology“ argumentieren, ist es daher wahrscheinlich, dass die Affensprache angeboren ist.
Mit Grunzlauten und Schreien verständigen Menschenaffen sich auf durchaus komplexe Art und Weise. Schimpansen passen zum Beispiel ihre Alarmrufe dem Kenntnisstand ihrer zuhörenden Artgenossen an. Gorillas können möglicherweise sogar ihre Atmung genug kontrollieren, um menschenähnliche Stimmlaute zu produzieren. Ob allerdings diese Laute tatsächlich willkürlich steuerbar sind und damit einer echten Sprache entsprechen oder nur instinktgesteuerte Laute, ist strittig.
Neue „Wörter“ nach dem Umzug?
Kürzlich deutete eine Studie darauf hin, dass verschiedene Schimpansengruppen unterschiedliche Dialekte oder gar „Sprachen“ sprechen und dass sie diese auch voneinander übernehmen. Der Verhaltenspsychologe Stuart Watson und seine Kollegen konstatierten, sie hätten „den ersten Beweis dafür gefunden, dass Affen spezielle Lautäußerungen ihrer Artgenossen lernen können.“
Hintergrund dieser Studie war der Umzug einer Gruppe von Schimpansen aus dem niederländischen Zoo Beekse Bergen in den Zoo von Edinburgh. Die niederländischen Schimpansen benutzten Watson zufolge zunächst andere Grunzlaute als die die schottischen, wenn sie Äpfel als Futter erhielten. Nach rund drei Jahren jedoch hatten die neu zugezogenen Affen das „Wort“ für Äpfel von der bereits etablierten Gruppe übernommen und klangen genauso.
Zwei große Schwachstellen
Die Verhaltensforscherin Julia Fischer vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen hat die Daten aus Watsons Studie nun kritisch unter die Lupe genommen. Danach kommt sie zu einem anderen Ergebnis: „Die Studie von Watson hat zwei große Schwachstellen“, sagt Fischer. „Erstens haben die Autoren die Ursachen für die veränderte Lautgebung der niederländischen Schimpansen unzureichend untersucht und zweitens waren die Laute beider Schimpansengruppen bereits zu Beginn der Studie sehr ähnlich und veränderten sich über den Zeitraum von drei Jahren nicht mehr wesentlich.“
„Unabhängig von ihrer Herkunft reagierte der Großteil der Tiere mit dem gleichen Ruf auf die Präsentation der Äpfel“, sagt Brandon Wheeler vom Deutschen Primatenzentrum.“ Lediglich sieben der insgesamt 20 analysierten Rufe der neuen Schimpansengruppe wiesen höhere Frequenzwerte als die Lautmuster der Schimpansen aus Edinburgh auf.“
Und: Nach drei Jahren klangen fünf Rufe immer noch anders. Damit hatten sich nur zwei Lautreaktionen auf die Äpfel geändert – von insgesamt 20 Rufen. „Die Veränderungen über die vielen Jahre waren also nicht besonders bemerkenswert“, so Wheeler.
Aufgeregte Schimpansen rufen anders
Fischer und ihre Kollegen argumentieren, dass die vorhandenen Unterschiede der „Äpfel“-Rufe zwischen den Schimpansen auch andere Ursachen als einen eigenen Dialekt haben können: Die Affen aus dem niederländischen Zoo könnten nach ihrem Umzug schlicht aufgeregt und gestresst gewesen sein. Möglicherweise waren sie erfreut über die Äpfel oder verunsichert von den neuen Artgenossen, mit denen sie nun zusammenlebten.
„Die unterschiedlichen Laute sind dann Ausdruck höherer Erregung aufgrund von Unsicherheit“, erklärt Koautor James Higham von der New York University. Gewöhnen sich die Affen an ihre neue Umgebung, so könnten sich auch ihre Rufe ändern. „Das haben Stuart Watson und seine Kollegen nicht explizit überprüft.“
Keine neuen Erkenntnisse zur Evolution der Sprache
Die Fähigkeit, Objekte oder Ereignisse willkürlich mit unterschiedlichen Lauten zu bezeichnen, ist eine der zentralen Eigenschaften der Sprachfähigkeit. Dass auch Schimpansen dazu in der Lage sind, bewerteten die Forscher um Watson als wichtige Erkenntnis zur Evolution der menschlichen Sprache.
Fischer und Kollegen zufolge bleiben diese neuen Erkenntnisse jedoch aus: „Wenn die Schimpansen wirklich eine neue Sprache gelernt hätten, wären die Unterschiede viel klarer ausgefallen“, urteilt Fischer. Die tatsächlich eher ähnlichen Rufe sprächen stattdessen dafür, dass die Laute angeboren seien. „Warum sollten sonst die meisten Rufe von Anfang an übereinstimmend gewesen sein, also zu einem Zeitpunkt, als sich die Tiere noch gar nicht kannten?“ (Current Biology, 2015; doi: 10.1016/j.cub.2015.09.010)
(Deutsches Primatenzentrum, Leibniz-Institut für Primatenforschung, 03.11.2015 – AKR)