Blick in den Werkzeugkoffer: Forscher haben Teile von Ötzis Ausrüstung analysiert und dabei interessante Fakten zutage befördert. Steindolch, Bohrer, Pfeilspitzen und Co verraten unter anderem, dass der Gletschermann Rechtshänder war. Außerdem liefern sie neue Einblicke in die letzten Tage des berühmten Südtirolers – und in das Leben und die Handelsbeziehungen der damaligen Kupferzeit-Kulturen.
Mehr als 25 Jahre nach ihrem Fund sorgt die Gletschermumie Ötzi immer noch für Faszination – womöglich auch, weil wir inzwischen so viel über das Leben und die Welt dieses Mannes aus der Kupferzeit wissen, dass er beinahe so etwas wie ein alter Bekannter geworden ist. Trotzdem haben wir längst noch nicht alles über den berühmten Südtiroler erfahren. Erst kürzlich offenbarten Analysen etwa, dass das Kupfer von Ötzis Beilklinge aus überraschender Quelle stammt: aus der Toskana.
Wissenschaftler um Ursula Wierer von der Archäologiebehörde in Florenz haben sich nun ebenfalls der Ausrüstung des Gletschermannes gewidmet. Sie nahmen mittels Mikroskopen und Computertomographie eine Reihe von Ötzis Steinwerkzeugen unter die Lupe, darunter einen Dolch, einen Bohrer und einige Pfeilspitzen.
Gestein aus dem Trentino
Die Untersuchungen offenbarten unter anderem, wo das für die Arbeitsgeräte verwendete Chert-Gestein seinen Ursprung hat. Demnach stammen die Materialien aus mindestens drei unterschiedlichen Quellen. Bei einer oder möglicherweise auch zwei davon könnte es sich um geologische Aufschlüsse aus der Trentino-Region handeln – Orte, die rund 70 Kilometer von Ötzis Heimat entfernt liegen.
Wie schon der Befund zur Herkunft der Beilklinge zeigt dies, dass die Menschen der frühen Kupferzeit-Kulturen über weite Entfernungen hinweg Beziehungen pflegten und regelmäßig untereinander Güter austauschten. Auch die Machart der Werkzeuge untermauert diese Annahme, wie die Forscher berichten.
Multi-Kulti Einflüsse
„Ötzis Werkzeug weist typische Merkmale der norditalienischen Tradition auf, daneben aber zum Beispiel auch für die Horgener Kultur aus der Schweiz charakteristische Eigenschaften“, schreiben sie. Transalpine Kontakte seien für Ötzi und seine Mitmenschen damals wahrscheinlich von großer Bedeutung gewesen.
Doch nicht nur über das Leben alpiner Kupferzeit-Menschen im Allgemeinen verrät Ötzis „Werkzeugkoffer“ einiges. Die Ausrüstung lässt auch Rückschlüsse auf den Bergbewohner selbst und auf seine letzten Tage zu. So deuten die Bearbeitungsspuren an Dolch und Co beispielsweise darauf hin, dass der Südtiroler Rechtshänder war.
Frisch geschärft
Außerdem scheint er zwar kein ausgewiesener Experte gewesen zu sein, aber durchaus in der Lage dazu, sein Werkzeug vernünftig auszubessern und nachzuschärfen. Wierer und ihre Kollegen attestieren ihm in dieser Hinsicht „mittelmäßige bis gute Fähigkeiten“. Noch kurz vor seinem Tod brachte der Gletschermann einige Teile seiner Ausrüstung frisch auf Vordermann, wie die Analysen zeigten – womöglich in Vorbereitung auf zeitnah anstehende Arbeiten.
So schien Ötzi unter anderem vorgehabt zu haben, einen Bogen fertigzustellen. Darauf deutet ein Rohling aus Eibenholz hin, der bei der Mumie gefunden wurde. Zu der Ausführung dieser und weiterer Arbeiten kam es dann allerdings nicht mehr. Der wahrscheinliche Grund: Ötzi zog sich vermutlich in den letzten Tagen vor seiner Ermordung eine Stichverletzung an der rechten Hand zu – für einen Rechtshänder wie ihn bedeutete dies: An handwerkliche Arbeit war erst einmal nicht mehr zu denken.
Ein Mann in Materialnot?
Doch das war nicht das einzige Problem, das den Gletschermann plagte. Offenbar hatte er Schwierigkeiten, an dringend benötigtes Material zu gelangen. Denn wie die Wissenschaftler berichten, waren manche Teile von Ötzis Ausrüstung in einem miserablen Zustand und hätten ersetzt werden müssen: Sein Dolch war zwar frisch geschärft, hatte aber eine abgebrochene Spitze und die einzigen zwei Pfeilspitzen in seinem Besitz waren ebenfalls beschädigt.
„Offensichtlich kam Ötzi in seinen letzten Tagen weder an einem Dorf, noch bei einem Händler vorbei, wo er diese Dinge hätte erstehen können. Womöglich behielt er aus diesem Grund die kaputten Pfeilspitzen“, vermuten die Forscher. (PLOS One, 2018; doi: 10.1371/journal.pone.0198292)
(PLOS, 21.06.2018 – DAL)