Mysteriöses Massensterben: Immer wieder kommt es zu massenhaften Todesfällen von Hummeln und Bienen unter Silberlinden. Aber warum? Lange hielt man einen giftigen Stoff im Nektar der beliebten Straßenbäume für den Schuldigen. Doch das widerlegen nun britische Forscher. Auch Pestizide können das Massensterben nur zum Teil erklären. Stattdessen scheinen die Insekten im Baum zu verhungern, wie die Wissenschaftler berichten. Zur Ursache haben sie nun einen Verdacht.
Die aus Südosteuropa stammende Silberlinde (Tilia tomentosa) ist einer der beliebtesten Straßenbäume Europas und Nordamerikas. Denn ihre silbrigen Blätter sind dekorativ, außerdem ist diese Lindenart sehr robusat gegenüber Trockenheit und Schädlingen. Doch sie – und einige andere Lindenarten – haben eine Schattenseite: „Immer wieder werden unter blühenden Linden tausende toter Bienen gefunden“, berichten Hauke Koch von den Royal Botanic Gardens in Kew und Philip Stevenson von der University of Greenwich.
Tödlicher Zucker?
Was aber ist schuld an dem rätselhaften Hummelsterben? Der häufigsten Hypothese nach soll der Nektar der Silberlinden schuld sein. Dieser soll den Einfachzucker Mannose enthalten – und damit einen Stoff, den die Bienen nicht richtig verstoffwechseln können. Als Folge bildet sich ein Abbauprodukt, das die energieliefernden ATP-Moleküle in den Zellen der Insekten zerstört – und sie dadurch langsam tötet.
Inzwischen allerdings wurde der Lindennektar mit modernen chemischen Analysemethoden untersucht und es stellte sich heraus: Weder die Silberlinden noch andere Lindenarten produzieren Mannose. Und auch im Verdauungstrakt von 80 sterbenden Hummeln unter Silberlinden konnte keine Mannose nachgewiesen werden. Die Vergiftung der Bienen durch den Lindennektar sei demnach ein Mythos, betonen Koch und Stevenson.
Sind Pestizide schuld?
Schuld am Tod der Hummeln könnten theoretisch auch Insektizide sein, denn viele Lindenbäume werden gegen Blattläuse gespritzt. Tatsächlich berichten Koch und Stevenson über einen spektakulären Fall, bei dem 50.000 Hummeln tot unter Lindenbäumen in Wilsonville im US-Bundesstaat Colorado gefunden wurden. Wie sich zeigte, hatte die Kommune kurz zuvor das Neonicotinoid Dinotefuran gespritzt.
Dieses Pestizid gilt als neurotoxisch für Hummeln und Bienen und könnte daher die Todesursache gewesen sein. Allerdings: „Bienensterben unter Linden gab es schon lange vor der Einführung der Neonicotinoid-Insektizide in den 1990er Jahren“, sagen die Forscher. „Sie können dieses Phänomen daher nicht generell erklären, auch wenn sie für einzelne Fälle verantwortlich sind.“
In den Hungertod gelockt?
Was aber ist dann schuld am Tod der Hummeln und Bienen? Nach Ansicht von Koch und Stevenson könnte die späte Blüte der Linden eine Rolle spielen: „Die Silberlinde blüht später als andere Lindenarten, in Europa meist zwischen Mitte Juli und Anfang August“, erklären sie. Zu dieser Zeit wird jedoch gerade in den Städten das Angebot blühender Pflanzen knapp. Vielerorts könnte die Silberlinde daher für die Insekten eine der letzten Nektarquellen in dieser Jahreszeit sein.
Der Verdacht der Forscher: Möglicherweise locken die Lindenbäume die Insekten selbst dann noch an, wenn ihre Nektarproduktion schon nachlässt. Die Hummeln fliegen dadurch die Bäume immer wieder umsonst an und verhungern. Tatsächlich besitzen viele der tot unter den Bäumen gefundenen Hummeln nur noch ein Drittel ihrer normalen Energiereserven. „Insofern erscheint das Verhungern eine einleuchtende Erklärung für das Massensterben der Bienen unter den Lindenbäumen“ , so Koch und Stevenson.
Koffein als Lockstoff?
Doch warum fliegen die Hummeln selbst dann zu den halbverblühten Bäumen, wenn es noch andere blühende Pflanzen in der Umgebung gibt? Hier könnten nach Ansicht der Forscher bestimmte Lockstoffe der Silberlinden ins Spiel kommen. Denn die Bäume erzeugen nicht nur Duftstoffe, die den Botenstoffen der Insekten stark ähneln, ihr Nektar enthält auch Koffein.
Dieses jedoch scheint auch bei Insekten ein gewisses Suchtpotenzial zu entfalten. In Versuchen mit Honigbienen bevorzugten die Tiere Futterstellen, die mit Koffein versetztes Zuckerwasser enthielten – und kehrten selbst dann wiederholt zu diesen Futterstellen zurück, wenn sie leer waren. Möglicherweise könnte genau dies auch bei den Silberlinden der Fall sein, so die Vermutung der Forscher.
„Der Einfluss des Koffeins könnte die Hummeln dazu bringen, selbst nach Ende der Nektarproduktion immer wieder zu den Lindenbäumen zurückzukehren – bis sie schließlich verhungern“, so Koch und Stevenson. Noch ist diese Theorie zwar nicht endgültig bewiesen. Die Wissenschaftler plädieren aber dafür, den Zusammenhang von Koffein, Lindenlockstoffen und dem Verhalten der Hummeln weiter zu untersuchen. Royal Society Biology Letters, 2017; doi: 10.1098/rsbl.2017.0484)
(Royal Society, 27.09.2017 – NPO)