Paläontologie

Unser Gehirn ist erst seit Kurzem rund

Moderne Schädelform heutiger Menschen entwickelte sich erst vor 35.000 Jahren

Bei modernen Menschen ist das Gehirn rund (links), bei unseren frühen Verwandten wie dem Neandertaler (rechts) und auch den ersten Homo sapiens war es dagegen eher länglich. © Neubauer et al.

Langsame und späte Entwicklung: Das menschliche Gehirn hat seine typische moderne Form im Laufe der Evolution nur ganz allmählich angenommen. Vergleiche von Homo sapiens-Fossilien belegen: Die runde Gestalt, wie wir sie heute kennen, entwickelte sich erst vor rund 35.000 Jahren – und damit später als gedacht. Diese Umstrukturierungen der Gehirnorganisation legten wahrscheinlich den Grundstein für die Entwicklung komplexer Denkprozesse beim Menschen.

Es war ein spektakulärer Fund: Im vergangenen Jahr entdeckten Forscher in Marokko die ältesten bekannten Fossilien des Homo sapiens – und damit unserer Vorfahren. Diese Knochen belegen, dass unsere Art mindestens 300.000 Jahre alt ist und gewähren zugleich einen interessanten Einblick in die frühe evolutionäre Phase des modernen Menschen.

Demnach hatten unsere Vorfahren bereits modern aussehende Gesichtsknochen und Zähne. Ihr Hirnschädel jedoch mutete eher archaisch an: Er war länglich und weniger gewölbt als der heutiger Menschen. Die Wissenschaftler werteten dies schon damals als Hinweis darauf, dass das Gehirn unserer Spezies erst nach und nach seine moderne Form entwickelt hat. Doch wie und wann genau entstand die für heutige Menschen typische runde Gestalt des Gehirns?

Unser Gehirn nahm im Laufe der Evolution erst allmählich seine heutige runde Form an. © Neubauer et al.

Von länglich zu rund

Um diese Frage beantworten zu können, haben Wissenschaftler um Simon Neubauer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nun die Schädelform von 20 Homo sapiens-Fossilien aus unterschiedlichen Zeiten analysiert. Dafür fertigten sie virtuelle Abdrücke der inneren Schädelhöhle der 300.000 bis 10.000 Jahre alten Überreste an und verglichen sie auch mit denen heute lebender Menschen.

Wie erwartet zeigte sich: Je jünger die Homo sapiens-Fossilien sind, desto moderner wird die Form ihres Gehirnschädels. Doch bis die Knochen die gleiche runde Form aufweisen wie bei Menschen heute, dauert es erstaunlich lange. Erst Fossilien, die jünger als 35.000 Jahre alt sind, besitzen demnach diese typische runde Gestalt.

„Überraschend spät“

„Wir wussten bereits, dass sich die Gehirnform innerhalb unserer eigenen Spezies entwickelt haben muss, waren aber überrascht, wie spät im Laufe der Evolution diese Veränderungen der Gehirnorganisation den heutigen Zustand erreicht haben“, konstatiert Neubauer.

Diese allmähliche Formveränderung hin zum modernen Gehirn hat sich unabhängig von der Größe des Denkorgans entwickelt, wie die Forscher betonen: Mit Hirnvolumina von etwa 1.400 Millilitern haben selbst die ältesten Homo sapiens-Fossilien schon eine ähnliche Gehirngröße wie heute lebende Menschen.

Voraussetzung für komplexe Denkprozesse

Doch es war wohl nicht die Größe, sondern die Form, die entscheidend zur Evolution komplexer Denkprozesse beim Menschen beitrug. Denn mit der allmählichen Entwicklung von länglich zu rund wölbten sich vor allem zwei Gehirnareale stärker heraus: der Scheitellappen im Großhirn und das Kleinhirn. Diese Hirnbereiche beeinflussen unter anderem die Orientierung und Aufmerksamkeit, die Wahrnehmung von Reizen, die Selbstwahrnehmung, das Arbeits- und Langzeitgedächtnis, die Sprache sowie die Verarbeitung von Emotionen.

Beim heutigen Menschen entwickelt sich diese charakteristische Rundung innerhalb nur weniger Monate um den Zeitpunkt der Geburt herum. „Die Evolution der Gehirnschädelform beim Homo sapiens deutet demnach auf evolutionäre Veränderungen der frühen Gehirnentwicklung hin – einer kritischen Zeit für die neuronale Vernetzung und kognitive Entwicklung im frühen Kindesalter“, sagt Neubauers Kollege Phillip Gunz.

Die Forscher vermuten daher, dass evolutionäre Veränderungen der frühen Hirnentwicklung entscheidend für die Evolution komplexer kognitiver Fähigkeiten beim Menschen sind. „Die allmähliche Entwicklung hin zu einer modernen menschlichen Gehirnform scheint mit der allmählichen Entstehung moderner Verhaltensweisen parallel verlaufen zu sein, auf die man auch aufgrund archäologischer Belege schließen kann“, schließt Neubauers Kollege Jean-Jacques Hublin. (Science Advances, 2018; doi: 10.1126/sciadv.aao5961)

(Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V./ Science Advances, 25.01.2018 – DAL)

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